Codename Hélène
große Rolle spielten. Genau diese Entscheidung wurde ihm nach dem Krieg als Beispiel für unverantwortliches Handeln vorgeworfen.
Am 17 . Juni 1943 landete Madeleine per Lysander in Frankreich und begann wenige Tage später ihre Arbeit in Paris. Bald war sie die einzige verfügbare Funkerin, alle anderen Operators saßen in Gestapo-Haft. Verraten von Henri Déricourt? Madeleine funkte unermüdlich und setzte dabei mitunter auch auf ihre natürlichen Waffen, ihre Schönheit. Ein junger Soldat zum Beispiel half ihr, die Antennenanlage in einen Baum in der Nähe ihres Appartements zu verschlingen, ohne zu ahnen, wofür das in Wirklichkeit nötig war. Angeblich wollte sie nur einen besseren Empfang haben für Radio Paris. Ein andermal trugen zwei Offiziere ihren schweren Koffer, in dem sie ihr Funkgerät schleppte, zur Metrostation.
Doch die Peilwagen der Gestapo hatten sie auf dem Schirm. Die Deutschen besaßen sogar eine ungefähre Beschreibung von ihr, kannten allerdings, wie auch der Verräter, nur ihren Codenamen, Madeleine, und lobten 100 0 00 Francs für ihre Ergreifung aus. Im Dickicht der Großstadt Paris hätten sie lange suchen können, aber eine Französin gab dem SD den Hinweis, wo sie sich verborgen hielt. Die Prämie lockte die Denunziantin. Madeleine sah, als sie auf dem Heimweg war, vor dem Haus einige scheinbar unauffällige Passanten stehen, bog sofort um die nächste Ecke, rannte weg, aber dennoch der Gestapo in die Arme. Im Hauptquartier versuchte Noor Inayat Khan erneut zu fliehen. Kletterte aus einem Toilettenfenster im fünften Stock aufs Dach, aber wieder wurde sie geschnappt.
Auf dem Transport in ein Zuchthaus nach Pforzheim wagte sie einen dritten Fluchtversuch, und auch der scheiterte. Zur Strafe wurde sie ab da nicht nur in einer Einzelzelle gehalten, sondern zusätzlich an Händen und Füßen gefesselt und auf halbe Essensration gesetzt. Niemand durfte mit ihr sprechen. Endstation war dann das KZ Dachau. In den Einzelzellen neben ihr saßen gefesselt Elaine Plewman, Yolande Beekman und Madeleine Damerment, alle wie sie in Netzwerken als Kurierin oder Funkerin tätig, bis die Gestapo sie verhaftete
Das Todesurteil, unterzeichnet vom Chef des Reichssicherheitshauptamts in Berlin, Ernst Kaltenbrunner, lag bei ihrer Ankunft bereits vor. Er habe deshalb vermutet, sagte Gestapo-Mann Christian Ott zu Vera Atkins, die ihn aufspürte und verhörte, dass es sich um wichtige Fälle handelte. Am 12 . September 1944 , neun Uhr morgens, verlas ein SS -Mann das Todesurteil. Auf Deutsch, der Sprache der Mörder. Madeleine Damerment, die Deutsch konnte, die Sprache Goethes, übersetzte es für die drei anderen. Ein letztes Mal protestierte sie unter Berufung auf die Genfer Konvention, deren Schutz sie alle als Mitglieder der britischen Freiwilligenarmee WAAF genießen würden. Ihr Rang sei Major, der von Yolande Beekman Captain, der von Noor Inayat Khan und Elaine Plewman Leutnant. Vergebens.
Selbst der letzte Wunsch, wenigstens noch einen Priester sehen zu dürfen, wurde abgelehnt. Es gebe keinen im KZ . Dann wurden die vier Frauen an eine Mauer geführt, mussten sich niederknien. Sie hielten sich an den Händen. Zwei SS -Männer traten hinter sie und richteten sie mit Genickschüssen hin. Bei einer von ihnen, sagte Ott aus, und wahrscheinlich sei es die Frau gewesen, die Deutsch verstand, war ein zweiter Schuss nötig, weil sie nach dem ersten noch lebte. Und eine dunkelhaarige, offenbar Noor, habe »Liberté« gerufen, bevor der Schuss fiel.
Auf einer Gedenktafel an der St. Paul’s Church in London stehen die Namen aller Frauen, die ihr Leben gaben für ihren König und ihr Land, »who gave their lives for their king and country«, darunter auch die vo n Andreé Borrel, Yolande Beekman, Denise Bloch, Madeleine Damerment, Noor Inayat Khan, Vera Leigh, Elaine Plewman, Diana Rowden, Yvonne Rudellat, Lilian Rolfe und Violette Szabo.
Für die Fluchtwege von Nazi-Verbrechern und ihren Kollaborateuren hatte der amerikanische Militärgeheimdienst Counter Intelligence Corps ( CIC ) sogar in offiziellen Berichten den Begriff rat line , Rattenlinie, benutzt, und der passte. Die Ratten, die das sinkende Schiff des Nazi-Reichs verlassen mussten, wurden von anderen Ratten ins Ausland geschafft. Entweder weil sie so gute Katholiken waren, deshalb auf Verstecke in Klöstern bis zum endgültigen Verschwinden rechnen durften. Koordiniert von Bischof Alois Hudal, einem österreichischen Klerikalfaschisten, Träger
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