Codename Hélène
Höschen hätte sehen können.
Desillusioniert, frustriert, aber nicht resigniert kehrt sie 1951 zurück nach Europa. In England, nunmehr fast vierzig Jahre alt, bekommt Nancy Wake aufgrund ihrer Verdienste, aber auch ihrer organisatorischen Fähigkeiten wegen – ein paar Jahre zuvor bewiesen im Verteilen von Waffen, jetzt nötig für das Aufstellen von Haushaltsplänen – einen Job im Luftfahrtministerium. Nichts Aufregendes, aber eigentlich hat sie an Aufregung keinen Bedarf mehr.
Oder nicht?
Oder nicht.
Diesmal ging es nicht um Krieg und Frieden, sondern um eine Attacke auf ihre Gefühle. Der ehemalige Pilot der Royal Air Force, John Forward, war 1957 von einem Freund als Trauzeuge für dessen Hochzeit ausgesucht worden, die Braut hatte sich für Nancy entschieden. John und Nancy trafen sich zum ersten Mal bei der Trauung. Ein Blitz muss dabei offenbar eingeschlagen haben, aber das Wort allein schon wäre disgusting seit den Blitz genannten Bombenangriffen der Deutschen. Die Konsequenzen des Einschlags, und dieser Begriff dürfte erlaubt sein, veränderten Nancy Wakes Leben. Sie vermied jedoch romantisch verklärende Umschreibungen, nannte die Folgen jener Hochzeit, die sie zu bezeugen hatten, eine ansteckende Krankheit: »The disease must have been catching as we married a week after.« Eine Woche später also waren sie und John ein Paar, und sie blieben es, als sie mit John wenige Jahre später wieder nach Australien zurückkehrte, sesshaft erst in Sydney, dann ab den 80 er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts im australischen Küstenort Port Macquarie, der zu ihrem einstigen Wahlkreis in New South Wales gehörte, bis Forward 1997 starb.
Im Vergleich zu den fünf Jahren zwischen 1939 und 1944 waren die vierzig Jahre mit John Forward ein breiter, ruhiger, friedlich fließender Strom. Hin und wieder ließ sie sich am Ufer absetzen, flog nach Frankreich zu Feiertagen der Résistance und freute sich, hochgeehrt und Flasche um Flasche leerend, mit den alten Freunden gemeinsam des Lebens. Oder genoss den Glanz des Showbusiness mit Vertretern einer ihr fremden Welt von Film- und Fernsehproduzenten, die nach der Lektüre ihrer Autobiografie das Leben der »White Mouse« verfilmen wollten. Es wurde nichts daraus. Die Protagonisten in jenem Biotop, egal, ob in Hollywood oder in London, eine Mischung aus falschen Versprechungen, Intrigen, Täuschungen, unterschied sich kaum vom System des wheeling and dealing in Geheimdienstkreisen. Immerhin hatte sie es bei einer der Besprechungen in Los Angeles jenem arroganten Kerl gezeigt, der damit angab, sie unter den Tisch trinken zu können.
Eines der zahlreichen Treatments und Scripts, die nie verfilmt wurden, hatte der britische Produzent für ein Honorar von hundert Pfund Vera Atkins, die im Ruhestand mittlerweile in Südfrankreich lebte, mit dem Auftrag übersenden lassen, ihn auf mögliche kleine Fehler in der Geschichte aufmerksam zu machen. Vera Atkins beugte sich über den Text wie über den Bericht eines SOE -Agenten. Nach 19 der 27 Seiten für »Secret Missions« (so der Arbeitstitel) jedoch gab sie auf. Bis dahin nehmen ihre handschriftlichen Anmerkungen, Verbesserungen, ja Aufschreie mehr Raum ein als das gesamte getippte Manuskript. Denn es stimmte, ihrer Meinung nach – und wer, wenn nicht sie, konnte das besser beurteilen? –, kurz gesagt nichts.
»Ich werde der Katze noch einen Kanarienvogel zu füttern geben, und dann komme ich«, schreibt Nancy Wake einer Freundin, bevor sie sich, inzwischen immerhin 89 Jahre alt, »for the rest of my life« in London niederlässt. Der Rest ihres Lebens wird noch fast zehn Jahre dauern. Auf einen festen Wohnsitz verzichtet sie. Sie wählt als Bleibe das Stafford Hotel am St. James’s Place. Keine schlechte Adresse und nicht gerade billig. Aber sie hat noch genügend auf dem Konto durch den Verkauf der Orden, sie bezieht eine Rente und darf überdies mit der Großzügigkeit des Hotelmanagements rechnen. Sämtliche Kosten zum Beispiel für die Feier ihres neunzigsten Geburtstags übernimmt diskret die Direktion. Ihr Stammplatz ist die Bar. Die täglichen sechs Gin Tonics, von ihr bei der Bestellung zeitsparend G&T genannt, zahlen einmal pro Monat anonyme Gönner. Das Gerücht, dass auch Prince Charles zu denen gehörte, hat sie nie dementiert.
Der Tod versucht, sie beim Cocktail im Hotel zu überraschen. Doch als er im Stafford auftaucht, ist die Ecke an der Bar, in der sie ihre G&Ts zu trinken pflegt, verlassen. Er
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