Codename Hélène
bereits Todesurteile verhängt wurden. »Vive la France et de Gaulle / Vive L’Angleterre et son Roi / Vive L’Amerique et son President / A Mort l’abonibable Allemagne / A Mort l’infecte Italie / A Mort les puantes Japonais et MERDE a votre Fuhrer et a vous tous, bande d’assasins.« Die volksnah deutliche Sprache – abscheuliches Deutschland, scheußliches Italien, stinkendes Japan, Scheiß auf den Führer und auf die ganze Bande der Mörder! – drückte die Stimmung der Aufrechten aus. Die Rechten sahen ihr Heil im sogenannten Vater der Nation, Pétain.
Für seinen Etat Français war Pétain im Waffenstillstandsabkommen eine Armee zugebilligt worden, etwa 100 0 00 Mann stark, allerdings nur mit leichten Waffen ausgestattet. Die Gendarmerie Nationale, die auf Kommandos aus Vichy hörte, bewachte entlang der Demarkationslinie Straßen und Bahnhöfe, winkte die meisten Grenzgänger aber oft nur durch. Es waren einfach zu viele. Ihre Ausweise wurden kaum überprüft. Wer keinen Pass besaß, Flüchtlinge zum Beispiel, benutzte die unbewachte grüne Grenze und kroch zur Not auf allen vieren unter dem Zaun durch auf die andere Seite.
Doch wer die Grenze Richtung Norden überqueren wollte, mit der Eisenbahn oder zu Fuß oder auf dem Rad, denn Benzin war rationiert und Zivilfahrzeuge selten, wurde von den Deutschen kontrolliert. Die schauten sich die Papiere genauer an. Aufgrund der Berichte ihrer inoffiziellen Mitarbeiter wussten sie, dass Mitglieder der Résistance mit gefälschten Pässen auf dem Weg waren, im besetzten Frankreich Netzwerke gegen die Nazis aufzubauen oder britischen Geheimagenten im Untergrund zu helfen. Viel mehr jedoch wussten sie noch nicht.
Vor allem nicht, wo diese unsichtbaren Netze gesponnen waren, wer sie führte, wer dazugehörte. Der deutschen Spionageabwehr unter Admiral Canaris, in tiefer Abneigung verbunden der Geheimen Staatspolizei, die zu Himmlers SS -Reich zählte, war es immerhin gelungen, einen Spitzel in ein Netzwerk in Marseille einzuschleusen. Dort war der Widerstand aus der Not heraus besonders aktiv. Der Not der Emigranten. Um den Rollkommandos der Vichy-Gendarmerie zu entkommen, setzten sie ihre Hoffnung auf Helfer im Netzwerk. In den camps de concentration , die nicht nur so hießen wie die in Deutschland, sondern in denen »schlimmere Zustände herrschten als damals in deutschen Konzentrationslagern« (so die Historikerin Margaret Collins Weitz), waren Ende 1940 bereits über 25 0 00 Juden aus fremden Ländern interniert.
Bis einige Monate zuvor hatten sich Fremde frei in Frankreich bewegen können. Nun wurden sie von der Regierung des freien Frankreich, die so antisemitisch war wie die deutsche, gejagt und eingesperrt. Nicht auf Druck der Militärverwaltung in Paris, sondern aus Überzeugung. Seit Frühjahr 1941 gab es in Vichy sogar eine Behörde, die sich um die Verfolgung von Juden zu kümmern hatte, das »Generalkommissariat für Judenfragen«. Französische Juden des angeblich freien Frankreich wurden registriert und diskriminiert ganz nach deutschem Vorbild. Die Schreibtischtäter des Pétain-Regimes verstanden sich gut mit denen der Nazis, doch hier endet der Vergleich. Für die Schuld der deutschen Mörder in Uniform, den systematischen Genozid, findet sich kein vergleichbares Beispiel in der Menschheitsgeschichte.
Informationen ihrer Agenten gab die Canaris-Truppe nicht weiter an ihre Todfreunde in der Avenue Foch, von Pariser Bürgern wegen des Gestapo-Hauptquartiers in ohnmächtigem Hass auch Avenue Boche genannt. Die Abwehr gönnte der Gestapo keine Erfolge, die Gestapo gönnte der Abwehr keine. Sie belauerten sich wie verfeindete Brüder. Doch beide waren Stützen desselben verbrecherischen Systems und hatten ihren Eid auf Hitler geleistet. Die einen nahmen Befehle entgegen vom Oberkommando der Wehrmacht und wurden mit ihrer Sondereinheit der Geheimen Feldpolizei auch bei Aktionen in besetzten Gebieten eingesetzt. Die anderen gehörten zum Reichssicherheitshauptamt, rekrutierten ihr Personal, deren brutale Methoden wie Folter, Terror, Mord sogar manchen hitlertreuen Offizieren zuwider waren, bevorzugt aus bürgerlich-akademischen Schichten.
Der interne Konflikt, den die Abwehr im Laufe des Krieges verlor, der jetzt aber noch nicht entschieden war, rettete jene Frau vor dem Zugriff der Gestapo, die dann als »Weiße Maus« ganz oben auf ihrer Liste der Meistgesuchten stand. Wer konkret sich hinter dieser seltsamen Bezeichnung verbarg, wussten die
Weitere Kostenlose Bücher