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Codename Hélène

Codename Hélène

Titel: Codename Hélène Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Juergs
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es einen zweiten Doppelagenten gab, Roger le Neveau (Roger der Legionär), einen Franzosen, der drei Jahre lang in der Fremdenlegion gedient hatte und nach der Kapitulation von den Siegern verpflichtet worden war, wusste Paul nicht.
    Nancy Fiocca fühlte sich im »du Louvre« fast wie zu Hause und hätte den Fridolins, die sie als Störenfriede empfand, zu gern Hausverbot erteilt. Und lieber noch die champagnerseligen Landsleute jener von ihr Teufel genannten Nazis, die sie in Wien und bei den Bombenangriffen auf die Flüchtlinge erlebt hatte, ins Meer gejagt. Sie konnte schon ihren Anblick nicht ertragen, und auch deren Sprache war ihr zuwider. Deshalb benutzte sie prinzipiell nie den prächtigen Eingang des Hotels an der Canebière, sondern den unscheinbaren an der Rückfront in der Rue Vincent Scotta.
    Neben der großen gab es im Hotel eine kleine Bar, in der sie auf ihren Mann zu warten pflegte. Seit seiner Rückkehr aus dem Krieg, der vorbei war, bevor Henri Fiocca an der Front überhaupt ankam, trafen sie sich nach Geschäftsschluss da auf ein oder zwei Aperitifs, gingen anschließend zum Essen ins Verduns. Für Stammgäste wie sie wurde aufgetischt, was andere Restaurants, in denen Katzen oder Tauben gekocht als Kaninchenragout verkauft wurden, schon nicht mehr anbieten konnten, weil Lieferanten aus Nordfrankreich ausgefallen waren.
    Die mussten nach dem Waffenstillstand vorrangig die Deutschen bedienen – Rechnungen zulasten des französischen Staates. Pro Tag verlangten die Sieger von den Besiegten 400 Millionen Francs für den Unterhalt ihrer Soldaten. Der Sieg war ihnen teuer, aber bezahlen sollten den die anderen. Frankreich wurde systematisch ausgeplündert. Statt der traditionellen Wochenmärkte blühten die Schwarzmärkte. Was es auf Lebensmittelkarten gab, reichte kaum zum Leben. Wer im Untergrund lebte, logischerweise von Amts wegen nicht bedacht wurde mit Coupons, brauchte den Schwarzmarkt zum Überleben und dafür vor allem Bargeld. Für etwa 1000 Francs – das Durchschnittsmonatseinkommen eines Arbeiters betrug 2500 Francs – gab es 250 Gramm Zucker, 250 Gramm Butter, 250 Gramm Käse, 500 Gramm gekochtes Fleisch, ein Kilo gekochtes Gemüse, zwei Kilo Brot. Die Beschaffung falscher Ausweise war einfacher, weil es in der französischen Verwaltungsstruktur kein Zentralregister gab und jede Präfektur Papiere ausstellen durfte.
    An einem jener Spätnachmittage, als Nancy Fiocca wie so oft auf ihren Mann wartet, fällt ihr in der Bar ein junger Mann auf, der vor einem halb vollen Glas Bier sitzt und in einem Buch liest. Franzosen würden um diese Zeit selten Bier trinken. Ein Deutscher? Einer jener Spitzel, über die viele üble Gerüchte im Umlauf sind? Einer von den Gestapisten, wie Agenten und Zuträger der Gestapo verächtlich in Marseille genannt werden? Sie fragt Antoine, den Barkeeper. Der zuckt mit den Schultern, macht sich unter dem Vorwand, eine neue Bestellung aufnehmen zu wollen, unauffällig kundig, kommt zurück und meint, er sei wohl doch keiner dieser verfluchten Boches, denn das Buch, das der Mann in der Ecke dort lese, habe einen englischen Titel. Das überzeugt Madame Fiocca, die gebürtige Britin Nancy Wake.
    Doch warum saß im »du Louvre«, fast in Sichtweite des Feindes, ein Engländer, der doch wissen musste, wie beliebt das Hotel bei den Fridolins war? Ein Tipp von denen an die vichytreue Gendarmerie würde genügen. Umgehend wäre der Biertrinker verhaftet und interniert. Eben deshalb würde er hier sitzen, antwortet er. Wer käme schon auf die absurde Idee, dass ein sogenannter feindlicher Ausländer ausgerechnet in der Bar des »du Louvre« sitze – und außerdem: Mehr als ihn einsperren könnten sie nicht. Denn eingesperrt, zumindest nachts, sei er bereits.
    Engländer waren Ende 1940 , genauer: seit dem 3 . Juli, nämlich so unbeliebt wie Deutsche. Bei vielen Franzosen sogar verhasst. Die Verbündeten der geschlagenen Grande Nation wurden auch im Süden behandelt, als zählten sie zu jenen feindlichen Ausländern. Noch im Mai und Juni waren Franzosen und Briten, Seit’ an Seit’ kämpfend, deutschen Panzerverbänden entkommen, die sie bei Dünkirchen eingekreist hatten. Offen blieben damals nur der Hafen und die See. Über 370 0 00 Mann der alliierten Streitkräfte – außer denen, die zu den British Expedition Forces zählten, immerhin auch mehr als 135 0 00 französische Soldaten – wurden während der Operation Dynamo nach England evakuiert. Eine

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