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Codename Hélène

Codename Hélène

Titel: Codename Hélène Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Juergs
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organisatorische Meisterleistung des Generalstabs in London. Jedes verfügbare größere Schiff, jedes noch so kleine Boot war eingesetzt worden für die Flucht über den Kanal. Zwar mussten sie alle schweren Waffen zurücklassen an den Stränden der Normandie, doch der Preis für die Rettung Hunderttausender schien vergleichsweise gering.
    Alle zu evakuieren war einfach nicht zu schaffen. Zu wenig Zeit. Die meisten der zurückgebliebenen Franzosen gerieten in deutsche Kriegsgefangenschaft, Hunderte von Briten versuchten sich in den unbesetzten Teil Frankreichs durchzuschlagen, um von dort dann ins faschistische, aber neutrale Spanien zu gelangen. Die Vichy-Regierung lieferte sie zwar nicht an die Deutschen aus, aber die Flüchtigen mussten sich bei örtlichen Dienststellen melden. Solange der Krieg der Nazis mit Großbritannien andauerte, sollten sie interniert werden. In Marseille zum Beispiel waren sie untergebracht im Fort Saint-Jean. So hieß die Zitadelle an der äußersten südlichen Ecke des Alten Hafens. Anfangs behandelten ihre einstigen Waffenbrüder sie dort freundlich, etwa wie entfernte Verwandte, die überraschend zu Besuch gekommen waren. Störten zwar, aber rausschmeißen wollte man sie auch nicht, schließlich gehörten sie noch zur Familie.
    Auch der britische Offizier, mit dem sich Nancy Fiocca in der Bar unterhält, war wie so viele auf seiner Flucht in Marseille hängen geblieben. Die Mission am Hafen war überfüllt, Caskie konnte nicht helfen. Weil er sonst niemand kannte in der Stadt und kaum noch Geld besaß, hatte er sich bei der Polizei gemeldet. Daraufhin war er, wie etwa zweihundert weitere britische Offiziere, in der Zitadelle interniert worden. Dort sitzt er seit ein paar Monaten fest. Er darf zwar tagsüber die Festung verlassen, und insofern hockt er ziemlich gelassen in der Bar, aber er und seine Kameraden sollen, wie er erfahren hat, bald verlegt werden in das berüchtigte Gefängnis Saint-Hippolyte-du-Fort, das als ausbruchssicher galt. Davon erzählt er Nancy Fiocca, und als ihr Mann eintrifft, auch ihm. Henri Fiocca versteht ihn. Er spricht fließend Englisch, seinen Schrott hatte er in Friedenszeiten auch an Kunden in Großbritannien verkauft. Derzeit allerdings ruhen die Geschäfte. Scheißkrieg. Möge der bald vorbei sein. Mögen ihn die Richtigen gewinnen. Zum Wohl. Beide Fioccas trinken Pastis, der Engländer bleibt beim Bier.
    Für Großbritannien war es nach der Operation Dynamo überlebenswichtig, dass der Wehrmacht außer den erbeuteten Waffen in der Normandie nicht auch noch die Kriegsschiffe der Franzosen in die Hände fielen. Zusammen mit denen der deutschen Flotte wäre das eine Armada mit großer Schlagkraft gewesen und ihre Insel dann in großer Not. Das musste unter allen Umständen verhindert werden. Dafür waren alle Mittel recht. Wirklich alle.
    Deshalb gab Winston Churchill die Operation Catapult in Auftrag und befahl der Royal Navy und der Royal Air Force, die vor Algerien im Hafen von Mers-el-Kebir ankernde Flotte Frankreichs zu versenken, falls deren Befehlshaber sich weigerten, sein Ultimatum zu erfüllen. Darin hieß es in höflicher Form, wie es sich unter Verbündeten so ziemte, die französischen Kameraden mögen jetzt nach der Niederlage Frankreichs »mit uns fahren und den Kampf gegen Deutschland bis zum Sieg fortsetzen« – und nicht etwaigen Anweisungen der Regierung in Vichy Folge leisten, der sie formal nach dem Waffenstillstand bis auf Weiteres unterstellt waren. Als Alternative wurde der französischen Admiralität angeboten, vom Hafen der Kolonie Algerien, wo sie seinerzeit lagen, in die französische Kolonie Martinique auszulaufen und dort zu ankern bis zum Ende des Kriegs. Die Flotte durfte auf keinen Fall vom Feind beschlagnahmt werden.
    Falls die verehrten französischen Waffenbrüder jedoch beides ablehnen sollten, dann allerdings sah sich der zuständige britische Admiral im Namen Seiner Majestät und im Namen des Kriegsministers und insbesondere im Namen des »Löwen« Winston Churchill zu seinem tiefen Bedauern gezwungen, »Gewalt anzuwenden, um zu verhindern, dass Ihre Schiffe in deutsche Hände fallen«. Er gab ihnen sechs Stunden Bedenkzeit. Als die ohne Zusage verstrichen waren, begannen britische Kriegsschiffe und Flugzeuge den angekündigten Angriff. Das war das Ende der Waffenbrüderschaft. Ein einziges Schiff entkam. Alle anderen Kreuzer der französischen Flotte wurden zerstört. 1297 französische Marinesoldaten starben bei

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