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Codename Hélène

Codename Hélène

Titel: Codename Hélène Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Juergs
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der Operation Catapult. Wie der damalige britische Kriegs- (und spätere Außenminister) Anthony Eden noch dreißig Jahre danach ungerührt in Marcel Ophüls’ grandiosem Dokumentarfilm Le Chagrin et la Pitié erklärte, war die Aktion jedoch schlicht eine militärische Notwendigkeit: »Es musste sein, wir wussten, was wir taten, aber wir mussten uns schützen.«
    Die Nazi-Propaganda nutzte die schrecklichen Bilder aus. Zeigte zum einen freundliche deutsche Soldaten im besetzten Norden Frankreichs, die Lebensmittel an die Bevölkerung verteilten, denn viele der kurz zuvor beim deutschen Einmarsch zu Millionen aus dem Norden und aus Paris Geflüchteten kehrten zwar nach der Kapitulation in ihre Dörfer und Städte zurück, aber sie litten Not. Platzkonzerte deutscher Militärkapellen zur Erbauung des Volkes auf Marktplätzen gaukelten vor, dass sich Besiegte und Sieger gemeinsam des Lebens freuten. Dagegen schnitt die Deutsche Wochenschau Aufnahmen von toten, verwundeten, brennend im Hafen von Mers-el-Kebir treibenden französischen Matrosen.
    Diese Szenen verfehlten ihre Wirkung nicht. Über Nacht galten die Briten als Gegner Frankreichs, als Feinde statt als treue Freunde der gedemütigten Nation. So verkündete es auch Marschall Pétain. Der 84 -Jährige brach alle Beziehungen zu Großbritannien ab. Ganz im Sinne der Deutschen, aber auch ganz im Sinne der Mehrheit seiner Landsleute. Zwar musste sich Philippe Pétain nie einer freien Wahl stellen, aber selbst wenn, dann hätte er die haushoch gewonnen angesichts der herrschenden Stimmung im Land. Böse Zungen, zu denen heutzutage renommierte französische Historiker zählen, sprechen davon, dass zu Beginn der deutschen Besatzung rund vierzig Millionen Franzosen überzeugte Pétainisten gewesen seien. Die Wochenschau-Aufnahmen aus der Zeit, die verzückt singende und fanatisch brüllende französische Bürger bei nationalen Kundgebungen von Pétain zeigen, würden dann also der Wahrheit entsprechen und diese These bestätigen. Sie hätten ebenso gut mit singenden und brüllenden Deutschen in Deutschland aufgenommen werden können, die ihrem »Führer« zujubelten.
    Vergeblich verteidigte Nancy Fiocca gegenüber der Familie ihres Mannes diese furchtbare, aber leider notwendige Attacke in Algerien. Man möge verdammt noch mal nicht Ursache und Wirkung verwechseln. Schuld an diesem schrecklichen Krieg, der Europas Völker ins Verderben stürzte, unter dem Frankreich litt so wie die inzwischen ebenfalls besetzten Länder Norwegen und Dänemark, Belgien und Holland, Luxemburg und ganz furchtbar Polen, waren die Deutschen. Die »Hunnen«. Die Nazis. Die Verbrecher.
    Womit sie recht hatte.
    Dennoch stand sie mit dieser Meinung bei ihren Schwiegereltern oder deren Gästen allein da. Die alle schworen auf Philippe Pétain. An der schmerzlichen Niederlage Frankreichs waren ihrer Überzeugung nach dessen Vorgänger schuld, die linken, die liberalen Regierungen. Vor allem die Volksfront unter Léon Blum habe das Land an den Abgrund geführt und den Deutschen das Bett bereitet, in dem die sich nun breit wälzten. Vor dem endgültigen Absturz in den Abgrund könne nur ihr Marschall die Nation bewahren. Man müsse sich im Alltag mit dem Sieger arrangieren, so schwer es denn auch sein mochte. Auf Engländer sei, wie die Geschichte lehren würde, nie Verlass gewesen. Henri Fiocca hielt selbstverständlich wie immer zu seiner Frau. In ihr, Französin durch Heirat, erwachte trotzig die gebürtige Britin Nancy Wake.
    Eine solche Trotzhaltung war typisch, auch in anderen Situationen im Leben von Nancy Wake. Immer dann, wenn sie sich unter Druck gesetzt fühlte, reagierte sie trotzig, statt nachzugeben. Ihre dann aufsteigende Wut mündete in gesteigerten Mut. Sie war stets bereit, für ihre Überzeugung zu streiten und, falls nötig, wie sich herausstellte, mit allen Mitteln zu kämpfen. Standzuhalten hieß für sie, sich treu zu bleiben. Man kann verlieren, wie sie aus eigener Erfahrung weiß, doch wer gar nicht erst kämpfte, hatte bereits verloren. Diese ihre Eigenart als besondere Eigenschaft erkannt zu haben, spricht für die Intelligenz derer, die sie für den Geheimdienst verpflichteten und ihr den Vorzug gaben vor starken Männern.
    Es war für Nancy Fiocca deshalb eine Art patriotische Pflicht, dass sie sich zu dem lesenden Engländer setzte, ihm zunächst ein frisches Bier bestellte, weil das vor ihm stehende abgestanden war und er sich ein zweites offenbar nicht leisten

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