Codename Hélène
Befreiung aus dem Gefängnis als auch die Reise mit dem Schwein der Wahrheit entsprechen.
Wann dies alles passierte, lässt sich ziemlich präzise eingrenzen: Die Sau im Koffer dürfte sie transportiert haben kurz vor Weihnachten 1942 , denn das Schwein war vorgesehen als Braten fürs bevorstehende Fest. Befreit wiederum wurde sie in jenen vier Wochen vor der Festnahme von Georges Rodocanachi am 26 . Februar und der von Pat O’Leary am 2 . März 1943 . Also irgendwann im Monat Februar. Auch das steht fest, denn Pat O’Leary holte sie aus dem Gefängnis. Und das wiederum konnte er logischerweise nur, solange er selbst noch frei war. Ab April 1943 ist das Netzwerk, das er gesponnen hatte, dann zerrissen. Seine Mitglieder, die bis dahin noch nicht aufgeflogen und verhaftet worden waren, befanden sich entweder in sicheren Verstecken oder wie Nancy auf der Flucht nach Spanien.
Am 11 . November 1942 hatten die Deutschen bekanntlich auch den bisher frei genannten Süden Frankreichs besetzt. Aus innenpolitischen Gründen wäre der Einmarsch nicht nötig gewesen. Die Pétain-Regierung war ideologisch mit der Militärverwaltung im besetzten Norden d’accord und mit der Umsetzung dieser Politik einverstanden. Mehr noch: Sie handelte mitunter sogar gnadenloser als deutsche Schreibtischtäter. Die hatten am 20 . Januar 1942 bei einer Konferenz am Wannsee in Berlin die »Endlösung der Judenfrage« beschlossen, was nichts anderes beinhaltete als die Vernichtung der Juden in allen von den Nazis besetzten Ländern Europas. Mit deutscher Gründlichkeit wurde danach der Völkermord geplant, koordiniert und organisiert. In Frankreich geschah das mit tatkräftiger Unterstützung der französischen Polizei, deren Chef René Bousquet verantwortlich war für eines der finstersten Kapitel in der eh insgesamt finsteren Geschichte der Kollaboration. Er gab den Befehl, alle jüdischen Bürger von Paris, die keine französischen Staatsbürger waren, zu verhaften. So geschehen am 16 . und 17 . Juli 1942 bei der bis dahin größten Razzia im besetzten Frankreich.
In Kollaborateuren wie Ministerpräsident Pierre Laval oder René Bousquet hatte die SS willige Vollstrecker ihrer mörderischen Pläne. Am gelben Stern, den zu tragen in Paris Pflicht war, konnten sie die erkennen, die sie suchten oder suchen ließen – Juden aus vielen Ländern, nach Frankreich emigrierte, staatenlose und lange schon dort lebende. Weil sich Monate nach der Kapitulation alle Juden in Paris registrieren lassen mussten, war den Behörden bekannt, unter welcher Adresse sie wohnten. Das erleichterte den Zugriff. Die Polizei trieb 12 8 84 Juden bei der Grande Rafle , der großen Razzia, in eine Radsporthalle, das Vélodrome d’Hiver. Unter ihnen 4051 Kinder. Deren Festnahme hatten nicht einmal die Deutschen verlangt.
SS -Obersturmbannführer Kurt Lischka teilte »Heil-Hitler«-ergebenst fünf Tage später dem Militärbefehlshaber Frankreichs mit, dass » 6000 unverheiratete oder kinderlose Männer und Frauen sofort in das Judenlager Drancy überstellt« worden waren, von wo aus ihr »Abtransport in Zügen« veranlasst werde. Er bat nach dem Hinweis, der »Rest der festgenommenen Juden, insbesondere Frauen und Kinder«, sei im Vélodrome d’Hiver untergebracht, um eine zeitnahe Entscheidung über »die Möglichkeit des Abtransports der Kinder ins Reich«. Was sie dort erwartete, war ihm bekannt. Nach dem Krieg wurde Lischka in Abwesenheit zu lebenslänglicher Zwangsarbeit verurteilt, aber er tauchte unter in Deutschland und lebte, bis Beate und Serge Klarsfeld die Taten des Täters öffentlich machten, als Prokurist unter seinem echten Namen in Köln. Sie wollten ihn nach Frankreich entführen, wo ja ein rechtskräftiges Urteil gegen ihn vorlag, aber das misslang. Erst 1980 bekam er von einem deutschen Gericht für seine Verbrechen eine zehnjährige Haftstrafe.
Auch die beiden Männer, auf deren Befehl die Razzia in Paris stattfand, wussten selbstverständlich um die Konsequenzen dessen, was sie taten. Laval immerhin wurde nach der Befreiung zum Tod verurteilt und hingerichtet. Der andere, Bousquet, der mit seinen SS -Kumpanen Helmut Knochen und Theodor Dannecker die Aktion organisierte, musste nicht einmal ins Gefängnis. Wie so viele, wie zu viele, diesseits wie jenseits des Rheins machte er eine steile Karriere und begann nach einer allgemeinen Amnestie, sogar als hochrangiger Banker politisch in der Republik wieder mitzumischen. Erst der – gemeinsam mit
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