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Codename Hélène

Codename Hélène

Titel: Codename Hélène Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Juergs
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seiner Frau Beate – unerbittliche, bei der Jagd nach Schuldigen nie aufgebende französische Rechtsanwalt Serge Klarsfeld schaffte es wie schon im Fall Lischka viele Jahre später, dass Bousquet wegen Verbrechen gegen die Menschheit angeklagt wurde. Alte Freunde, zu denen er auch den damals regierenden sozialistischen Präsidenten François Mitterrand zählte, halfen den Prozessbeginn bis zum Jahr 1991 zu verschleppen. Wenig später erschoss ein angeblich verwirrter Mann den Schreibtischtäter René Bousquet.
    Die wiederholten öffentlichen Erklärungen der Pétain-Regierung, man erfülle in der Kollaboration mit den Deutschen nur seine nationale Pflicht, Frankreich einen Rest von Souveränität und Würde zu bewahren, ist nach der Razzia von Paris mehr als nur die übliche Heuchelei von Laval und Konsorten. Nämlich eine abscheuliche Lüge. Denn die Ermordung Tausender von Kindern, die zuvor in Paris unter äußerlich unmenschlichen Bedingungen und getrennt von ihren Eltern, die schon in die Vernichtungslager deportiert worden waren, bis zu ihrer Zugfahrt in den Tod ausharren mussten, ist auch Schuld des Vichy-Regimes. Die wahren Mörder sind zwar Deutsche. Aber sie brauchten die Hilfe der Franzosen. Es dauerte fast vier Wochen, bevor Adolf Eichmann dem Transport nach Deutschland zustimmte. Er hatte nicht etwa gezögert aus einem Restgefühl von Moral oder Menschlichkeit heraus, sondern deshalb, weil es ihm zuwider war, dass die Sieger von Besiegten vor vollendete Tatsachen gestellt worden waren. Alle Kinder wurden nach der Ankunft in Auschwitz sofort vergast.
    Der Leiter des Judenreferats der Gestapo in Frankreich, Theodor Dannecker, nach dem Krieg von den Amerikanern in Bad Tölz erwischt, wo er sich durch Selbstmord der irdischen Gerechtigkeit entzog, hatte seiner Dienstelle Wochen vor dem Grande Rafle berichtet, dass Pierre Laval vorgeschlagen habe, »beim Abschub jüdischer Familien aus dem unbesetzten Gebiet [das im Sommer 1942 noch nicht unter deutscher Herrschaft stand, sondern von Laval regiert wurde – Anm. d. Verf.] auch die unter 16 Jahre alten Kinder mitzunehmen. Die Frage von im besetzten Gebiet zurückbleibenden Judenkindern interessiert ihn nicht.«
    Tatsächlich schlug er sogar die Deportation aller Kinder bereits ab dem zweiten Lebensjahr vor. Sehr wohl wissend, was mit denen in Deutschland geschehen würde. Razzien gegen Juden waren also auch vor der Besetzung bereits in den Gebieten geplant, die zum vorgeblich freien Frankreich gehörten und von Vichy aus regiert wurden. Zehntausend hatte Laval den Deutschen zugesagt. Antisemitismus hat Tradition in Frankreich. Er kam nicht erst mit den deutschen Nachbarn übers Land. Das Feld war längst bestellt.
    Der Einmarsch in den Süden geschah aus rein militärischer Notwendigkeit. So begründet vom Oberkommando der Wehrmacht. Hunderttausende britische und amerikanische Soldaten, unterstützt von ortskundigen Regimentern der Armee Forces Françaises Libres ( FFL ) unter der Führung von General Charles de Gaulle, hatten Casablanca und Algier erobert. Eine Invasion in Südfrankreich erschien als der logisch nächste Schritt. Deshalb wollten die Deutschen die Küsten selbst schützen. Nennenswerter oder zumindest verbaler Widerstand fand nicht statt. Staatspräsident Pétain und Ministerpräsident Laval sahen die Zukunft Frankreichs eh nicht mehr als souveräne Nation, sondern als Protektorat mit größtmöglicher Autonomie in einem dann großgermanischen faschistischen Europa. Sie passten sich dem Zeitgeist an, verboten wie auch im Norden die Trikolore und hängten ihre Fahnen in den Wind.
    Knapp ein Jahr zuvor, Ende 1941 , war dieser Wind vorüberwehend sogar dem greisen Helden von Verdun zu stark geworden. Philippe Pétain entließ Laval, weil der sich bereits aufführte wie ein künftiger deutscher Gauleiter. Doch auf Druck der Besatzer, die davon überzeugt waren, dass Pierre Laval ein williger Vollstrecker ihrer Anordnungen sei, was stimmte, hatte er ihn im April 1942 erneut ins Amt des Ministerpräsidenten berufen müssen. Fortan musste sich Pétain mit einer Nebenrolle begnügen. Er wurde zwar, wie es einst dem Nachbarn Paul von Hindenburg ergangen war, noch gelegentlich als Symbol für die sogenannte nationale Revolution auf die große Bühne geschoben, aber zu entscheiden hatte er in Wahrheit nichts mehr.
    Nancy Fiocca mied ihr geliebtes Hôtel du Louvre et de la Paix, denn seit dem Einmarsch saßen die Fridolins nicht mehr nur als unbeliebte

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