Codename Hélène
Gäste im Foyer. Das ganze Haus gehörte ihnen. Sie hatten es für das Hauptquartier der deutschen Kriegsmarine beschlagnahmt. Statt uniformierter Pagen wachten am Eingang jetzt Soldaten. Kontrollen in den Zügen oder auf den Bahnhöfen oder in den Cafés und Bistros übernahmen feldgraue Mäuse. Die Gestapo setzte bevorzugt zur Menschenjagd jene Geheimpolizisten ein, die Französisch sprachen und verstanden, was um sie herum gesprochen wurde. Nach außen den Schein wahrend, führten Vichy-Gendarmen Festnahmen und Razzien durch, gehorchten den Einsatzbefehlen der Regierung Pétain, doch die befolgte nur die Anweisungen der Deutschen.
Die meisten der 73 8 53 französischen – von denen nur 2650 zurückkehrten – und der mehr als 130 0 00 ausländischen Juden, die während der Okkupation verhaftet und deportiert und fast alle ermordet worden waren, wurden von französischen Polizeieinheiten in die Züge nach Auschwitz, Treblinka, Buchenwald, Mauthausen, Ravensbrück, Natzweiler-Struthof verfrachtet. Der Tod war ein Meister aus Deutschland. Aber viele der Todesboten trugen Polizeiuniformen Frankreichs, wenige nur von ihnen zogen sie aus und schlossen sich der Résistance an, den Forces Françaises de l’Intérieur ( FFI ), wie die Schattenarmee dann hieß. Diese Schande wurde im kollektiven Bewusstsein der Nation lange verdrängt. So wie auch im Nachbarland die Schandtaten der Väter einfach totgeschwiegen wurden. Seit 2005 werden junge französische Polizisten im Mémorial de la Shoah in Paris mit dieser Vergangenheit konfrontiert. Geschichte wiederholt sich zwar bekanntlich nicht, aber sie sollen lernen, dass es Befehle geben kann, die zu verweigern ihre Pflicht sein muss.
Im besetzten Norden Frankreichs war der Dauerkonflikt zwischen dem Oberkommando der Wehrmacht, in der angeblich nur anständige Offiziere das Kommando hatten, und dem Reichssicherheitshauptamt von Heinrich Himmler zugunsten der SS entschieden worden. Carl Albrecht Oberg, berüchtigt dann als der »Schlächter von Paris«, der wie viele, zu viele nach dem Krieg der Hinrichtung entging, obwohl er zum Tode verurteilt worden war, zu Recht, hatte seit März 1942 das Kommando über alle deutschen und französischen Polizeieinheiten. Er war ein fanatischer Nazi und seinem »Führer« treu ergeben, dessen »Weisungen« er buchstabengetreu umsetzen ließ.
Obergs erste Anordnung: Sippenhaft. Falls Franzosen einen Angehörigen unterstützen, verstecken oder ihm bei der Flucht helfen, der als Mitglied der Résistance von der Gestapo gesucht wird, würden zur Strafe alle »männlichen Familienmitglieder auf- und absteigender Linie sowie Schwager und Vettern vom 18 . Lebensjahr an aufwärts« erschossen werden, alle Frauen »des gleichen Verwandtschaftsgrades in Zwangsarbeit« und alle Kinder der betroffenen »männlichen und weiblichen Personen bis zum 17 . Lebensjahr einschließlich in eine Erziehungsanstalt« überführt werden. Eine Maßnahme, die in der brutal angedrohten Konsequenz auf die Frauen und die Mütter zielte. Sie sollten aus Sorge um ihre Familie und ihre Kinder verhindern, dass ihre Männer und ihre Söhne gegen die Deutschen kämpfend in den Untergrund gingen. Angst und Schrecken zu verbreiten gehörte zur Strategie der Nazis. Oft genug hatten sie ihre Gnadenlosigkeit und Brutalität auch schon bewiesen.
Aber inzwischen war der Hass auf die Deutschen bei vielen größer als die Furcht vor ihnen. Frauen im Widerstand gegen die Besatzer waren nicht nur so tapfer wie Männer, sondern oft sogar tapferer als die. Sie wurden nicht als gleichberechtigt behandelt, obwohl sie gleich mutig handelten wie die Männer und gleichermaßen gefährdet waren. Auch ihre Mitstreiter in der Résistance mussten erst lernen, das zu akzeptieren. Deren Einstellung Frauen gegenüber hatte sich bis dahin nicht von der ihrer Vichy-Gegner unterschieden. Louise Weiss, Pseudonym Valentine, von Beginn der Okkupation an bereits aktiv im Widerstand, Chefredakteurin der gaullistischen Untergrundzeitung Nouvelle Republique , schleuderte dem Feind leidenschaftliche Appelle entgegen – stets unter der programmatischen Überschrift »Aux Françaises de la résistance«, an die Französinnen des Widerstands –, die von ihrer Kraft bis heute nichts verloren haben. Stets verbunden mit der Forderung nach Gleichstellung von Frauen und Männern, beispielhaft in ihrem Artikel vom 22 . November 1943 :
»Französinnen! Seit dem Waffenstillstand habt ihr euch bewundernswert
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