Codename Hélène
Kollaborateure, die 42 0 00 Mitglieder zählte – Schauspieler, Schriftsteller, Maler, Tänzer, Sänger, Bildhauer –, über ganz Frankreich verteilt. Juden selbstverständlich unerwünscht, die wurden von Abetz und Konsorten denunziert, gejagt, deportiert, ermordet. Von den 42 0 00 Geistesgrößen gaben sich allerdings fast alle, und auch da unterschieden sie sich nicht von den deutschen, nach dem Krieg als angeblich im Widerstand befindlich aus und nannten das »Innere Emigration«.
Rake konnte singen, konnte tanzen, konnte parodieren, konnte auf der Bühne in Frauenkleidern und geschminkt vortäuschen, nicht der zu sein, der er war. Nach einer Vorführung seiner Künste wurde er in einem der über hundert Pariser Nachtklubs und Kabaretts engagiert, die dank ihrer deutschen Gäste Umsätze machten wie seit Jahren nicht mehr. Geld hatten die Besatzer genug. Den Wechselkurs bestimmen sie schließlich selbst. Die Francs der Nazis stanken auch jenen nicht, denen die Boches stanken. Sie verdienten an ihnen wie die eleganten oder weniger eleganten Bordelle, die kleinen Theater und die großen Bühnen, Zeitungen, Magazine, Buchverlage, von denen bis auf die Editions Emile-Pauls alle die Selbstverpflichtung auf Zensur unterschrieben hatten, die vom Propagandaministerium aus Berlin befohlen worden war.
Deutsch hatte Rake von einem Mann gelernt, mit dem ihn monatelang eine geheime Affäre verband. Geheim nicht nur wegen ihrer beider Neigungen, sondern auch deshalb, weil es sich beim Geliebten von Denis um einen Wehrmachtsoffizier handelte, der natürlich nicht ahnte, dass er mit einem britischen Spion, einem überzeugten Feind der Nazis, im Bett lag. Der unwissende Liebhaber war einer jener wenigen Deutschen, die Paris als Stadt ihrer Sehnsucht eroberten und nicht als Hauptstadt des Erbfeinds. Die sich, kriegsumständehalber in Uniform, benahmen wie neugierige Touristen, nach Dienstschluss bei ihren Streifzügen durch die Nacht aber stets in Zivil unterwegs waren. Der Deutsche hieß Max, »sah toll aus, besaß dunkelblaue Augen und die Ausstrahlung eines Künstlers« (Rake).
Der Barmann des »Bœuf Sur Le Toit«, beliebt bei Homosexuellen aller Nationen, hatte sie miteinander bekannt gemacht. Im Programmheft war der singende Transvestit, den der Deutsche so begeistert beklatscht hatte, als Denis Greer verzeichnet. Unter seinem echten Namen wurde Rake ja gesucht. Für seine Auftritte als Frau durfte er sich schminken und in Rock und Bluse zwängen, Perücke aufsetzen und auf High Heels staken. Eine perfekte Tarnung für einen, der befürchten musste, auf einer Fahndungsliste der Polizei zu stehen. Er pflegte in der Garderobe zu schlafen, weil seine Gage nicht reichte für eine Unterkunft, sondern gerade mal so fürs Essen.
Deshalb nutzte er sofort die sich bietende Gelegenheit, als ihm Max schöne Augen machte, und zog noch in derselben Nacht bei ihm ein. Sie blieben sich nah, bis sein Partner an die Ostfront abkommandiert wurde. Als ihm das Pflaster in Paris nach der Totalbesetzung Frankreichs zu heiß wurde, setzte sich Rake mithilfe des Netzwerks Spindle über die Pyrenäen und dann aus Spanien nach ein paar allerdings noch ziemlich unangenehmen Wochen im Internierungslager Miranda bei Barcelona nach England ab und meldete sich wieder zum Dienst bei den Geheimen der Special Operations Excutive.
Die schickten ihn aber nicht an die Front, sondern an die Schiefertafel. Kurse von Dozent Rake, die er selbstironisch unter das Motto »Wie benehme ich mich als Agent im Feindesland?« stellte, waren beliebt. An einen möglichen Einsatz in ebenjenem Feindesland war nicht mehr gedacht. Bis zu viele Funker ausfielen, weil ihr Netzwerk verraten wurde oder die Gestapo sie per Peilung aufgespürt hatte. Bis Captain Rake alias Roland trotz aller Bedenken seinen Einsatzbefehl bekam im Unternehmen Freelance .
Nancy Wake war von Maurice Buckmaster in einem Gespräch unter vier Augen dringend ermahnt wurden, auf Denis zu achten und mögliche Avancen in einer bestimmten Richtung zu unterbinden. Der Chef von Sektion F hatte genaue Vorstellungen davon, was handfeste französische Bauern, auf deren Hilfe sie dann angewiesen waren, mit einem Briten machen würden, der ihren Söhnen zu nahe trat. Tatsächlich gelang es Hubert und Hélène einmal nur mühsam und mithilfe diskret überreichter Scheine, einen Maquisard davon abzuhalten, Denis zu verprügeln, weil der seinem Sohn nachgestellt hatte. Welches Risiko er damit einging, Roland nach
Weitere Kostenlose Bücher