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Codename Hélène

Codename Hélène

Titel: Codename Hélène Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Juergs
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beim Maquis als Justin angekündigt und in der britischen Armee offiziell im Rang eines Captain gelistet. Der gut aussehende Offizier, 43 Jahre alt, Sohn eines Journalisten und einer Opernsängerin, hatte nicht die klassische militärische Laufbahn hinter sich. Heutzutage würde man ihn einen Seiteneinsteiger nennen. Bevor er sich bei Kriegsausbruch freiwillig für die British Expedition Forces meldete und dann im Frühsommer 1940 als Dolmetscher in den gemeinsamen Stäben mit den französischen Verbündeten eingesetzt wurde, war Rake in einer ganz anderen Welt zu Hause. In der Welt der Show. Seit fünfzehn Jahren trat er als Schauspieler und Sänger in Theatern und Kabaretts und Nachtklubs auf. Kein großer Star, dessen Name auf Plakaten oben stand, aber stets beschäftigt mit tragenden Rollen in Schwänken und Musicals und Operetten. Es drängte ihn nie zu Höherem. Hamlet hatte er nicht im Repertoire. Gelegentliche Abstürze aufgrund der kleinen und großen Helfer durch die Nacht, Aufputschpillen und Alkohol, waren der Preis für den Genuss, anders leben zu dürfen.
    In der Welt des Scheins kannte er sich bestens aus. Auf den Bühnen seines Lebens zählten Illusionen so viel wie Realitäten. Eine ideale Voraussetzung für eine Rolle im Geheimdienst, denn auch dort ist systemimmanent grundsätzlich nichts so, wie es auf den ersten Blick zu sein scheint. Zwar hätte er zu normalen Zeiten mit seiner Biografie so wie Nancy Fiocca aufgrund der ihrigen keine Chance gehabt, ausgerechnet beim britischen Geheimdienst engagiert zu werden. Aber die Zeiten waren nun mal nicht normal und deshalb die bislang gültigen Kriterien für solche Jobs bis auf Weiteres nicht mehr in Kraft. Was Nancy und Denis verband, war die beiden eigene Lust auf Abenteuer. Sie fürchteten die Langeweile mehr als die Gefahr.
    Statt sich jetzt bei der SOE erneut auf riskante Abenteuer einzulassen, hätte Rake auch in der Etappe verbleiben können. Seine Vorgesetzten legten es ihm sogar nahe. Denn bei verschiedenen Einsätzen war er draußen in the field schon zweimal knapp dem Tod entronnen. Einmal im Sommer 1940 , als der Truppentransporter, auf dem er nach der Kapitulation Frankreichs während der Operation Dynamo nach England flüchtete, von den Deutschen versenkt und er im letzten Moment von einem Begleitschiff aufgenommen wurde. Und beim zweiten Mal, als ihn Fischer vor dem Ertrinken retteten, nachdem das Minensuchboot, auf dem er bei einem Kommandounternehmen eingesetzt wurde, in die Luft flog und unterging. Dabei hatte er sich den Unterschenkel gebrochen, was trotz einer implantierten Silberplatte zur Verstärkung des Knochens nie ganz ausheilte und ihn bei der Flucht vor Verfolgern in den Wäldern der Auvergne bald spürbar behindern würde. Geblieben war auch ein leichtes, aber kaum auffallendes Hinken. Dass er gegen die chronischen Schmerzen mit Pillen ankämpfte, verschwieg er natürlich. Sonst hätten ihn die Strategen von SOE weder beim Nahkampftraining noch bei den Geländemärschen mitmachen lassen oder ihn nicht wie jetzt für einen Einsatz als Funker nach Frankreich geschickt, sondern weiterhin nur im Innendienst als Lehrer eingesetzt.
    Einsatz im Innendienst aber langweilte ihn. Da war er schon einmal gelandet, bei einer Küstenbatterie in Portsmouth, dem Heimathafen der Royal Navy. Bürokratischer Alltag. Rake saß jeden Abend in einer Kneipe und trank sich den Frust des Tages weg. Er vertrug viel. Wusste aber im Unterschied zu Nancy Wake nicht immer, wann er aufhören musste. Dabei war es ihm egal, wo er sich gerade befand. Auf einer Party. In einer Theatergarderobe. Oder im Wald, von Feinden umgeben: Irgendwann im Sommer 1944 , nach einem Angriff der Deutschen, fand Nancy Wake ihn, augenscheinlich betrunken, Handgranaten am Gürtel, Pistole in der Hand, torkelnd und singend, und hatte alle Mühe, ihn zu entwaffnen und dann so mit Kaffee abzufüllen, dass er wieder einsatzbereit war. Denn als Funker brauchten sie ihn, nüchtern, so dringend wie die Container mit Waffen und Munition.
    In jener Bar in Portsmouth, so erzählte er es mal Hubert und Hélène, habe eigentlich sein geheimes Leben begonnen. Am Tresen lauschte er fasziniert dem Gespräch zweier gleichfalls ziemlich angetrunkener RAF -Piloten, die mit ihren Abenteuern bei nächtlichen Einsätzen im Feindesland protzten, wo sie regelmäßig Agenten absetzen würden. Am nächsten Morgen schon habe er sich bei seinem Vorgesetzten einen Urlaubsschein für 48 Stunden besorgt und

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