Codename Merlin - 3
noch Kinder Gottes, ebenso wie ihr. Ich zweifle nicht daran, dass sie das, was sie getan haben, aus ihrem Glauben an Gott heraus taten. Ich sage nicht, ich glaubte, dies sei, was Gott von ihnen verlangt habe, aber es war das, was man sie als Gottes Wunsch gelehrt hat. Sollen wir sie dafür verurteilen, dass sie so gehandelt haben, wie ihr Glaube es ihnen vorschreibt, wenn unser eigener Glaube es von uns verlangt, dass wir uns vom Rat der Vikare und dem Tempel abwenden? Wir mögen es für erforderlich halten, uns Männern entgegenzustellen, die so glauben, wie diese Männer geglaubt haben. In diesem Krieg, den uns die ›Vierer-Gruppe‹ erklärt hat, mag es für uns sogar erforderlich sein, jene zu erschlagen, die so glauben, wie jene Männer geglaubt haben. Doch trotz dieser grimmigen Notwendigkeit dürft ihr alle niemals vergessen, dass jene, denen ihr euch entgegenstellt, immer noch Menschen sind, ebenso wie ihr selbst Menschen seid, und ebenso Kinder Gottes, wie ihr selbst Kinder Gottes seid. Was sie tun, mag euch böse erscheinen und falsch vor Gottes Augen, aber wenn ihr zulasst, dass sich eure Herzen mit Hass füllen, wenn ihr euch in etwas verwandelt, was weniger ist als menschlich, damit es euch leichter fällt, sie zu töten, dann öffnet ihr euch selbst genau jenem Bösen, das ihr in eben jenen Menschen verurteilt.«
Die murmelnden Stimmen hatten sich gelegt, während der Erzbischof gesprochen hatte, waren völliger Stille gewichen, und nun blickte Maikel Staynair seine versammelte Gemeinde traurig an.
»Wir leben in einer Zeit, in der Männer und Frauen Entscheidungen treffen müssen, meine Kinder. Ich flehe euch an, euch, die ihr mich liebt − so wie ihr euch selbst liebt, so wie ihr eure Frauen und eure Männer und eure Kinder liebt, so wie ihr Gott Selbst liebt −, trefft die richtigen Entscheidungen! Entscheidet euch, das zu tun, was getan werden muss, aber tut es, ohne euch selbst zu vergiften, eure Seelen oder eure Fähigkeit, einander zu lieben.«
Jetzt herrschte fast atemlose Stille, und Staynair blickte in das Mittelschiff der Kathedrale, in der die Prozession immer noch die Leichen der drei Attentäter umringte. Ein halbes Dutzend der Gardisten, die Merlin unterstellt waren, hatte sich zu ihnen gesellt. Nun machten sie sich daran, die Leichen aufzusammeln und aus der Kathedrale zu bringen, und Staynair bedeutete seinen Altardienern und Unterpriestern, in den Altarraum vorzutreten.
»Kommt!«, forderte er sie auf. Ruhig stand er vor seiner Gemeinde, bespritzt mit dem Blut der Männer, die versucht hatten, ihn zu ermorden. »Kommt, meine Brüder, wir haben eine Messe zu feiern.« »Maikel«, sagte König Cayleb sehr, sehr ernsthaft, »Ihr seid Euch doch wohl bewusst, was genau die Attentäter ausgenutzt haben, als sie diesen Angriff geplant haben, oder etwa nicht?«
»Natürlich bin ich mir dessen bewusst, Euer Majestät«, erwiderte der Erzbischof gleichmütig. Gemeinsam saßen sie auf dem Balkon von Caylebs Privatgemächern im Palast und blickten auf die Stadt hinab, die im goldenen Licht des frühen Abends schimmerte. Merlin stand hinter dem Sessel des Königs. »Aber um Euren Einwänden vorzugreifen: Ich bin entschieden zu alt und viel zu sehr in meinen Gewohnheiten verhaftet, um sie nun noch ändern zu können.«
»Maikel, die haben versucht, Euch umzubringen«, sagte Cayleb, und er klang dabei, als mühe er sich nach Kräften, dabei nicht aufgebracht zu klingen − was ihm gründlich misslang.
»Ich weiß«, erwiderte Staynair mit der gleichen Gelassenheit.
»Also, was genau meint Ihr wohl, wird mit der Kirche von Charis − und diesem Königreich − geschehen, wenn es denen das nächste Mal, wenn sie so etwas versuchen, tatsächlich gelingt?«, begehrte Cayleb zu wissen.
»Falls das geschieht, werdet Ihr eben meinen Nachfolger bestimmen müssen, Euer Majestät. Ihr werdet eine vollständige Liste geeigneter Kandidaten in meinem Schreibtisch finden. Pater Bryahn weiß, wo sie zu finden ist.«
»Maikel!«
»Beruhigt Euch, Euer Majestät«, sagte Staynair und lächelte ein wenig. »Mir ist sehr wohl bewusst, was Ihr damit in Wahrheit sagen wollt. Und ich werde auch nicht versuchen, in irgendeiner Weise herunterzuspielen, welche Auswirkungen mein Tod auf unsere Bemühungen hätte, uns dem Großvikar und der ›Vierer-Gruppe‹ entgegenzustellen. Und mir ist auch nicht entgangen, wie sich mein Tod durch echte oder auch nur mutmaßliche Tempelgetreue auf die allgemeine Meinung im
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