Codename Merlin - 3
Hand zuckte empor; seine Finger umklammerten die zweite Pistole. Die Wolke aus Rauch und Pulverdampf seiner beiden ersten Schüsse hüllte ihn ein. Einem Menschen hätte sie jegliche Sicht genommen, doch Merlin Athrawes war kein Mensch. Sein Blick durchdrang den Rauch mühelos, während er immer noch auf der Brüstung der königlichen Empore balancierte, und seine linke Hand war ebenso unmenschlich ruhig wie seine rechte.
Rasch wanderte sein Zielpunkt über den Rumpf des dritten Angreifers. Den hier wollte Merlin lebend. Ein Beintreffer sollte ausreichen, dachte er grimmig, dann verkniff er sich einen Fluch, als der dritte und letzte Angreifer schließlich doch einen Dolch zog. Schließlich hatten auch die anderen Teilnehmer der Prozession begriffen, was hier vor sich ging. Zwei von ihnen wandten sich gerade herum, um sich auf den dritten Attentäter zu stürzen, doch dafür blieb ihnen nicht genug Zeit. Die linke Hand des Angreifers umklammerte immer noch Staynairs linken Arm, während er mit der rechten den Dolch hob, und es war völlig unmöglich, dass ihn noch irgendjemand erreichte, bevor der Dolch herabzuckte.
Staynair spürte, wie die fremde Hand seinen rechten Arm losließ, und verlagerte gerade sein Körpergewicht, um sich von dem Angreifer zu seiner Linken loszureißen. Doch dann ertönte eine dritte Explosion, und plötzlich hielt überhaupt keine Hand mehr den Erzbischof fest. Merlin wollte gerade schon über die Brüstung springen, doch dann hielt er inne.
Na, wir sollten doch lieber darauf verzichten, vor all diesen Zeugen irgendetwas absolut Menschenunmögliches zu tun − es sei denn, es ließe sich überhaupt nicht vermeiden, sagte er sich selbst.
Diese leise Stimme in seinem Hinterkopf erschien ihm geradezu unverschämt ruhig, doch sie hatte durchaus recht, und so ließ Merlin die immer noch rauchende Pistole in seiner Rechten in ihr Holster gleiten. Dann kauerte er sich zusammen, hielt sich mit der rechten Hand an der Brüstung der Empore fest und ließ sich langsam über die Kante absinken. Die Finger glitten über einen glatten, säuberlich eingewachsten Pfosten, bis sich seine Füße nur noch fünf oder sechs Fuß über dem Marmorboden der Kathedrale befanden. Dann ließ sich Merlin mit katzenartiger Anmut fallen.
Er landete auf einer Sitzbank, die sich schlagartig geleert hatte, als die dortigen Andächtigen ihn kommen sahen. Sie wichen zurück, starrten ihn aus großen Augen an, als er so in dieser Wolke aus Pulverdampf und Rauch zu ihnen herunterkam, und er nickte ihnen höflich zu.
»Entschuldigen Sie«, sagte er freundlich und trat in das Mittelschiff.
Durch die Kathedrale hallten verwirrte Rufe − und in die Verwirrung mischte sich zunehmender Zorn, als den Kirchgängern nach und nach bewusst wurde, was hier geschehen war −, doch Merlin ignorierte den Lärm im Hintergrund, während er den Mittelgang hinaufeilte.
Unter gewöhnlicheren Umständen hätte seine Uniform alleine bereits ausgereicht, um ihm den Weg freizuräumen. Unter diesen Umständen − die Pistole immer noch in der linken Hand; einer der Hähne war noch gespannt, während aus dem bereits abgefeuerten Lauf immer weiter Rauch quoll − war seine Erscheinung sogar noch beeindruckender, und so gelangte er rasch an Staynairs Seite.
Der Erzbischof hatte ein Knie gebeugt und ignorierte den Unterpriester, der ihn drängte, wieder auf die Beine zu kommen; stattdessen drehte er den zweiten seiner Angreifer nun mit vorsichtigen Bewegungen auf den Rücken. Merlin schaute zu, wie Staynair vorsichtig die Hand an den Hals des Mannes legte; ganz offensichtlich versuchte er den Puls zu ertasten. Natürlich fand er keinen, und so schüttelte der Erzbischof langsam und mit schwerfälligen Bewegungen den Kopf und streckte die Hand aus, um die Augenlider des Leichnams zu schließen.
»Seid Ihr unverletzt, Eure Eminenz?«, fragte Merlin, und Staynair blickte zu ihm auf. Seine Miene verriet unendliches Bedauern.
»Ja.« Seine Stimme klang ein wenig brüchig. So hatte Merlin den Erzbischof noch nie erlebt, doch unter den gegebenen Umständen, so vermutete er, war es vielleicht verständlich, dass sogar der unerschütterliche Maikel Staynair ein wenig angegriffen wirkte. Der Erzbischof räusperte sich und nickte dann.
»Ja«, wiederholte er, nun mit deutlich festerer Stimme. »Mir geht es gut, Merlin. Und das habe ich Euch zu verdanken.«
»Dann solltet Ihr, wenn Ihr es nicht zu einem Tumult kommen lassen wollt, jetzt wohl besser
Weitere Kostenlose Bücher