Codename Merlin - 3
Tatsächlich wirkten einige von ihnen sogar deutlich angespannter und besorgter als die Laien, die hier ihrer Ankunft harrten.
Stetig und mit gleichmäßigen Bewegungen zog die Prozession weiter; die Priester schritten den Mittelgang hinab, dann traten die einzelnen Bischöfe zur Seite. Der Mann in der Soutane eines Erzbischofs nahm auf dem Thron Platz, der dem Statthalter des Erzengels Langhorne in Charis vorbehalten war, und hier und dort brandete leises Gemurmel auf, als der sichtlich ranghöchste Gottesmann sich setzte. Captain Athrawes wusste nicht, ob der Erzbischof sie gehört hatte. Falls ja, so ließ er es sich nicht anmerken, während er darauf wartete, dass auch die Bischöfe ihre Plätze in den reich verzierten, und doch deutlich bescheideneren Sitzen einnahmen, die so aufgestellt waren, dass sie den Thron des Erzbischofs zu beiden Seiten flankierten.
Schließlich hatte sich auch der letzte Bischof gesetzt, und wieder herrschte in der Kathedrale völlige Stille; sie schien vor Bedeutsamkeit und Anspannung fast zu knistern, als Erzbischof Maikel Staynair den Blick über die Gemeinde schweifen ließ.
Für einen Safeholdianer war Erzbischof Maikel recht hochgewachsen; er hatte einen beeindruckenden Bart und eine auffallende Nase, seine Hände waren groß und kräftig. Zudem war er der einzige Mensch in der ganzen Kathedrale, der tatsächlich völlig ruhig wirkte. Der höchstwahrscheinlich sogar ruhig ist, ging es Captain Athrawes durch den Kopf, und er fragte sich, wie dieser Mann das nur fertigbrachte. Selbst der Glaube musste doch seine Grenzen haben. Vor allem, wenn Staynairs Recht, diese Krone und die Soutane zu tragen, die er angelegt hatte, keineswegs durch den Rat der Vikare der Kirche bestätigt worden war. Und es bestand auch nicht einmal der Hauch einer Hoffnung, dass die Vikare ihn jemals in seinem neuen Amt bestätigen würden.
Was natürlich die Anspannung aller anderen in dieser Kathedrale sehr wohl erklärte.
Schließlich, endlich, ergriff Staynair das Wort.
»Meine Kinder«, erfüllte seine kräftige, perfekt ausgebildete Stimme die ganze Kathedrale und vertrieb die völlige Stille der wartenden Gemeinde, »wir sind uns wohl bewusst, wie besorgt, wie beunruhigt und sogar verängstigt viele von euch angesichts dieser beispiellosen Veränderungen sein müssen, die in den vergangenen Monaten über Charis gekommen sind.«
Etwas, das noch nicht einmal Captain Athrawes mit seinem einzigartigen Gehör als einen ›Laut‹ bezeichnet hätte, brandete über die lauschenden Gemeindemitglieder hinweg, als die Worte des Erzbischofs ihnen erneut diesen Eroberungsversuch ins Gedächtnis zurückriefen, der ihren König das Leben gekostet hatte. Und dass Staynair das kirchenrechtlich bedeutsame Wort ›wir‹ verwendete, betonte zusätzlich, dass er hier tatsächlich ex cathedra sprach und somit auch förmlich die offizielle, rechtsgültige und bindende Doktrin und Ordnung seiner ganzen Erzdiözese verkündete.
»Veränderung ist etwas, bei dem es gilt, Vorsicht walten zu lassen«, fuhrt Staynair fort, »und Veränderung nur um der Veränderung willen, gilt es stets zu vermeiden. Doch selbst das Offizium der Inquisition von Mutter Kirche hat in der Vergangenheit anerkannt, dass es Zeiten gibt, in denen Veränderung sich nicht vermeiden lässt. Großvikar Tohmys’ Lehrschrift Über Gehorsam und Glauben hat vor fast fünf Jahrhunderten festgelegt, dass es Zeiten gibt, in denen jeglicher Versuch, die Konsequenzen notwendiger Veränderungen zu leugnen oder zu vermeiden, selbst zur Sünde wird.
Und eine derartige Zeit ist nun angebrochen.«
Als er dann schwieg, war die Stille in der Kathedrale vollkommen. Was Anspannung gewesen war, verwandelte sich in atemlose, völlige Konzentration; alle Augen ruhten auf Erzbischof Maikel. Der eine oder andere Kirchgänger zuckte mit dem Kopf, als sei er versucht, zur königlichen Empore hinüberzublicken, statt den Erzbischof anzuschauen, doch niemand tat es. Captain Athrawes vermutete, es sei für jeden hier in der Kathedrale derzeit schlichtweg körperlich unmöglich, den Blick von Staynair abzuwenden.
»Meine Kinder.« Sanft schüttelte der Erzbischof den Kopf, und sein Lächeln verriet tiefe Trauer. »Wir wissen sehr wohl, dass viele von euch besorgt sind, möglicherweise sogar erzürnt, angesichts der Gewänder, die wir angelegt haben. Es betrifft die Kleidung des Priesteramtes, in das wir berufen wurden. Und wir bringen es auch nicht übers Herz, euch das
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