Codename Merlin - 3
Befehl. Alle Geschütze bellten auf. Ein dumpfer, alles übertönender Schlag, gegen den sich selbst das Dröhnen der Musketensalven fast armselig ausnahm.
Jede einzelne Kanone spie ihre todbringende Beutelkartätsche, dunkle Wolken aus Kugeln breiteten sich aus. Lock Island sah, wo einige der Kugeln, die eben in alle Richtungen gestreut wurden, den Boden aufwirbelten und so einige Geschosse fernab der Zielobjekte ›verschwendeten‹. Wo die Gewehrkugeln Holz der Ziele hatten zersplittern lassen und das Tuch zerfetzten, rissen die Beutelkartätschen sie einfach um. Nein, das ist nicht ganz richtig, korrigierte sich Lock Island, hob das Fernglas und spähte hindurch. Die Ziele waren nicht einfach umgerissen − von ihnen war überhaupt nichts mehr übrig.
Weitere Hornsignale ertönten, und die Kanoniere traten von ihren Geschützen zurück. Die Musketiere setzten ihre Waffen ab, dann waren laute Trillerpfeifen zu hören, die das Ende der Schießübung ankündigten.
»Das …« sagte Lock Island und wandte sich dem Marine-Offizier zu, der neben ihm stand, »… war … beeindruckend. Sehr beeindruckend, Brigadier.«
»Ich danke Ihnen, Mein Lord«, erwiderte Brigadier Kynt Clareyk. »Die Männer haben hart gearbeitet. Und nicht nur, weil wir sie dazu getrieben hätten. Sie können es kaum erwarten, auch noch jemand anderem zu zeigen, was sie alles können.«
Lock Island nickte. Er hatte keinen Zweifel daran, wer diese ›anderen‹ sein sollten, denen Clareyks Männer ihr Geschick demonstrieren wollten. Oder besser gesagt: an wem sie es demonstrieren wollten.
»Schon bald, Brigadier. Schon bald«, versprach der High Admiral. »Sie wissen doch besser als fast jeder andere, wie der Zeitplan aussieht.«
»Jawohl, Mein Lord.« Lock Island war sich nicht ganz sicher, aber er hatte den Eindruck, die Ungeduld sei dem Brigadier ein wenig peinlich, doch darauf gewettet hätte er nicht. Und wenn man ganz ehrlich war, gab es wohl kaum jemanden, der mehr das Recht hatte, ungeduldig zu sein, als Brigadier Clareyk. Schließlich hatte er das Ausbildungshandbuch für die neuen Infanterietaktiken der Royal Charisian Marines verfasst. Und er war als Seamounts Erster Assistent dabei gewesen, die Taktik für die erste echte Feldartillerie der Welt zu entwickeln und die Zusammenarbeit mit der Infanterie zu sichern. Damals war er noch ›Major‹ gewesen, kein Brigadier; zu diesem Zeitpunkt hatte es in ganz Charis keine Brigadiere gegeben. Dieser Dienstgrad existierte erst seit weniger als sechs Monaten; Seijin Merlin hatte ihn vorgeschlagen, als der Aufbau der Marines richtig in Gang gekommen war.
Lieutenant Layn, der Clareyk vertreten hatte, als dieser die bestmöglichen Taktiken für den Einsatz der neuen, deutlich präziser schießenden Gewehre mit ihrer immens erhöhten Reichweite zurechtgelegt hatte, war nun selbst Major und leitete das Ausbildungsprogramm hier auf Helen Island.
Und, so dachte Lock Island, während er erneut zu den Männern von Clareyks zweitem Bataillon hinüberschaute, die sich nun in die Kolonnenformation einreihten, Layn macht seine Arbeit genau so gut wie zuvor Clareyk.
»Eigentlich, High Admiral«, sagte eine andere Stimme, »denke ich, wir werden wahrscheinlich in Erwägung ziehen müssen, unsere Ausbildung an einen anderen Ort zu verlagern. Oder sie vielleicht auf andere Orte auszuweiten.«
Lock Island wandte sich dem kleinen, fast untersetzt wirkenden Offizier zu, der auf der anderen Seite neben ihm stand. Bei einer unkontrollierten Explosion hatte Baron Seamount vor einigen Jahren Zeige- und Mittelfinger der linken Hand verloren, doch dieser Unfall hatte seine Begeisterung für lautstarke Detonationen nicht im Mindesten gedämpft. Und ebenso wenig hatte sie sich auf seinen immensen Scharfsinn ausgewirkt. Einige ließen sich von Seamounts recht unscheinbarem Äußeren täuschen, doch Lock Island wusste genau, zu welchen Leistungen der Verstand dieses Mannes fähig war, dessen Auftreten so … wenig beeindruckend war. Und wie wertvoll.
Auch wenn Seamount vom Captain mittlerweile zum Commodore befördert worden war, fühlte sich Lock Island immer noch ein wenig schuldig. Von Rechts wegen müsste Seamount jetzt selbst unter dem Wimpel eines Admirals auftreten, nach allem, was er schon für Charis getan hatte. Und genau so wäre es auch … gäbe es da nicht ein kleines Problem. Trotz seines unbestreitbar brillanten Verstandes, trotz der Tatsache, dass er derjenige war, der sämtliche Grundlagen für
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