Codename Merlin - 3
kleiner wurden.
Er stand an einem der obersten Fenster der Schenke ›Zum Grauen Schiff‹, einer nicht allzu gediegenen Taverne in den Außenbezirken von Hanth Town. Weder ihre Lage noch diese Atmosphäre allgegenwärtigen Verfalls waren dazu angetan, Kundschaft anzulocken, doch zumindest lag die Schenke nicht auf der Route eines Großteils der Schießereien, die er in der Ferne immer noch hören konnte: Tahdayo Mahntayls Söldner versuchten, die Stadt zu verlassen. Das war in etwa das Beste, was er darüber sagen konnte … und im Augenblick konnte er auch über seinen eigenen Zustand kaum etwas aussagen, um ganz ehrlich zu sein. Nur wenige hätten den mächtigen Bischof Mylz erkannt, hätten sie ihn hier gesehen. Sein sorgfältig gepflegter, üppiger Bart war verschwunden, die silbernen Strähnen an seinen Schläfen, die seinem Aussehen stets etwas besonders Dramatisches verliehen hatten, waren nun gefärbt, und seine maßgeschneiderte Soutane hatte er gegen die deutlich einfachere Kleidung eines mittelmäßig erfolgreichen Farmers oder vielleicht eines unbedeutenden Händlers ausgetauscht.
»Wir wussten doch schon seit Fünftagen, dass dies kommen würde, Mein Lord«, merkte der deutlich jüngere Mann an, der neben ihm stand. Pater Ahlvyn Shumay sah noch weniger nach dem Privatsekretär des Bischofs von Margaret Bay aus als Halcom selbst wirkte. »Es war doch von Anfang an offensichtlich, dass Mahntayls wahre Treue einzig und alleine ihm selbst gilt.«
»Und deswegen soll ich mich jetzt besser fühlen?«, grollte Halcom. Schwungvoll wandte er sich vom Fenster ab, drehte der flüchtenden Galeone den Rücken zu und blickte Shumay geradewegs in die Augen.
»Nicht ›besser‹, Mein Lord.« Shumay brachte tatsächlich ein Lächeln zustande. »Aber die Heilige Schrift mahnt uns, es sei besser, der Wahrheit ins Gesicht zu blicken, als sich in die Selbsttäuschungen des Wunschdenkens zu flüchten, selbst im Namen Gottes.«
Einen Augenblick lang bedachte Halcom ihn mit einem finsteren Blick, doch dann entspannten sich die Schultern des hitzigen Bischofs zumindest ein wenig, und er verzog das Gesicht zu einer Grimasse, die zumindest den Hauch eines Lächeln barg.
»Ja, das tut sie«, gab er zu. »Und ich nehme an, ich muss mir selbst immer wieder ins Gedächtnis rufen, dass zu den Funktionen, die Sie am besten erfüllen, immer noch gehört, jegliche Selbsttäuschungen im Keim zu ersticken, auch wenn das aus Ihnen gelegentlich einen unerträglichen, altklugen Besserwisser macht.«
»Ich versuche mein Bestes, Mein Lord. Eine nützliche Funktion zu erfüllen, meine ich − nicht unerträglich zu sein.«
»Das weiß ich, Ahlvyn.« Sanft tätschelte Halcom ihm die Schulter, dann atmete er tief durch; es war die Geste eines Mannes, der seine Gedanken bewusst von jeglichem Ärger abzuwenden und sich produktiveren Gedanken zu widmen versuchte.
»Wenigstens vereinfacht uns Mahntayls letzte Flucht, unsere eigenen Möglichkeiten zu begutachten«, sagte er dann. »Bitte nehmen Sie zur Kenntnis, dass ich nicht gesagt habe, es würde unsere Möglichkeiten ›verbessern‹, ich sagte lediglich, es würde sie ›vereinfachen‹.«
»Vergebt mir, Mein Lord, aber ich fürchte, ich begreife nicht recht, wie heutzutage irgendetwas ›einfach‹ sein sollte.«
»›Einfacher‹ ist auch nicht das Gleiche wie ›einfach‹.« In einem kurzen Grinsen blitzten Halcoms Zähne auf. »Andererseits steht jetzt zumindest fest, dass wir, nachdem Mahntayl sich dafür entschieden hat, nicht die Stellung zu halten, das ebenso wenig tun können. Nicht jetzt, nicht hier.«
Fast unmerklich weiteten sich Shumays Augen. Unnachgiebig wie ein Fels hatte Halcom darauf bestanden, dass sie es irgendwie bewerkstelligten, hier in dieser Diözese eine Trutzburg der wahren Kirche zu errichten. In den flammenden Predigten, die er in der Kathedrale von Hanth gehalten hatte, war der Bischof immer wieder sowohl auf ihre Verantwortung eingegangen, genau das zu tun, als auch darauf, es sei sehr wohl möglich.
»Ach, jetzt schauen Sie doch nicht so erstaunt«, schalt Halcom ihn. »Allzu viel Hoffnung, Cayleb und diesen verdammten Verräter Staynair abzuwehren, hat doch ohnehin nie bestanden. Aber wenn ich das auch nur ein einziges Mal offen zugegeben hätte, wäre Mahntayl schon viel früher verschwunden. Und auch wenn die Hoffnung darauf nicht allzu groß gewesen war, hat sie doch immer noch bestanden. Aber, wie Sie selbst gerade angemerkt haben, jetzt hat es
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