Codename Merlin - 3
ihm einfach entgangen, und ich hatte zu große Angst, zu deutlich zu werden. Und …« − nun war es an ihr, die Lippen zu einem traurigen Lächeln zu verziehen − »… ich habe immer gedacht, es bliebe noch genug Zeit. Niemals habe ich damit gerechnet, dass es so weit kommen würde.«
»Ich auch nicht«, bestätigte Ahnzhelyk und lehnte sich wieder in ihrem Sessel am Fenster zurück, die Hände im Schoß gefaltet.
»Ich werde deine Briefe vermissen«, sagte sie.
»Lyzbet wird meinen Platz einnehmen«, erwiderte Ailysa. »Es wird einige Monate dauern, sämtliche Lieferarrangements zur Gänze zu erfüllen, aber sie weiß genau, was es zu tun gilt.«
»Das habe ich nicht gemeint.« Nun grinste Ahnzhelyk fast verschlagen. »Ich meinte deine Briefe. Es gibt doch einige Personen, die mir meine Vergangenheit vorwerfen, weißt du? Von denjenigen, die sie zur Gänze kennen. Aber du hast das nie getan.«
»Natürlich nicht.« Ailysa stieß ein leises Lachen aus. »Ich kenne dich, seit du noch nicht einmal ein Jahr alt warst. ›Ahnzhelyk‹! Und deine ›Vergangenheit‹ ist doch genau das, was dich so erfolgreich und effektiv hat werden lassen.«
»Aber manchmal fühlt es sich einfach sonderbar an, mit dir darüber zu sprechen«, erwiderte Ahnzhelyk und klang dabei fast wehmütig.
»Ja, das stimmt. Manchmal.« Ailysa wandte sich wieder ihrer Näharbeit zu. »Du warst in vielerlei Hinsicht mehr seine Gemahlin als ich. Du hast dich zumindest mehr um die Jungs gekümmert als ich.«
»Hast du mir das verübelt?« Ahnzhelyk sprach mit bewusst ruhiger Stimme. »Ich habe mich nie getraut, dich das zu fragen.«
»Ich habe ihm verübelt, dass ihm diese Machtspielchen, die er hier in Zion gespielt hat, immer wichtiger waren als seine Familie«, beantwortete Ailysa die Frage ihrer Freundin, ohne den Blick von ihrer Arbeit abzuwenden. »Ich habe ihm verübelt, dass er Trost und Behaglichkeit in Bordellen gesucht hat. Aber das war seine Welt, die Welt, in die er hineingeboren war. Das war nicht deine Schuld, und du hast auch nichts dazu getan, dass es so war, und so habe ich dir niemals etwas verübelt.«
»Das beruhigt mich«, erwiderte Ahnzhelyk leise. »Das beruhigt mich wirklich, Adorai.«
.VI.
Hanth Town, Grafschaft Hanth Königreich Charis
Captain Sir Dunkyn Yairley stand auf dem Achterdeck der HMS Destiny und genoss, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, die frische Morgenluft über der Margaret Bay. Die Sonne war noch nicht aufgegangen. Am Osthimmel, vor dem man die dunklen, fast unsichtbaren Umrisse von Margaret’s Land erahnen konnte, zeichnete sich gerade der erste mattgoldene Lichtschein ab, durchzogen von morgendlichen Rosatönen. Hoch über ihnen zogen dünne Wolkenfetzen hinweg, wie blauer Rauch vor dem stetig heller werdenden Himmel. Der Mond war gerade noch zu sehen, er spähte über den Rand am westlichen Horizont, doch die Sterne waren bereits verloschen. Die Brise trieb die Destiny gleichmäßig voran; an der Brahmstenge waren sämtliche Segel gesetzt, und so machte das Schiff gute fünf bis sechs Knoten.
Yairley war stolz auf das Schiff, das er befehligte. Die Galeone mit ihren vierundfünfzig Kanonen gehörte zu den stärksten Kriegsschiffen der Welt, und Yairley hatte das Kommando erst vor weniger als fünf Fünftagen übernommen. Mit dem letzten Schiff unter seinem Kommando, der Queen Zhessyka, hatte er sich in der Schlacht im Darcos-Sund hervorgetan, und zur Belohnung dafür hatte man ihm das Kommando über die Destiny übertragen. Er vermutete, dass dieses Schiff, trotz seiner Leistungen in dieser Schlacht, jemand anderem zugesprochen worden wäre, wenn Dunkyn nicht zuvor zweieinhalb Jahre lang eine Handelsgaleone befehligt hätte. Offiziere der Navy, die auch noch im aktiven Dienst Erfahrungen mit Rahseglern gesammelt hatten, gab es schließlich nicht allzu viele.
Das geschieht Allayn ganz recht, dachte er mit einem selbstzufriedenen Grinsen. Sein älterer Bruder hatte immer wieder behauptet, mit dieser Auszeit von ganzen drei Jahren, während der er Dienst auf einem Handelsschiff getan hatte, würde er seiner Karriere bei der Navy den Todesstoß versetzen, doch er hatte sich getäuscht. Ich habe ihm ja gesagt, dass die Erfahrung mit Handelsschiffen dem High Admiral gefallen würde − damit zeige ich genau die Sorte ›Vielseitigkeit‹, die ihm so zusagt. Natürlich muss ich zugeben, dass ich nicht damit gerechnet hatte, diese Erfahrung werde ihm aus genau den Gründen so zusagen, die
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