Codename Merlin - 3
widerstehen.«
»Nein«, pflichtete Ahnzhelyk ihr traurig bei, dann straffte sie die Schultern, ging zum Sessel am Fenster hinüber und setzte sich. Sie stützte sich gegen eine der gepolsterten Armlehnen und blickte erneut auf die ruhige Straße hinaus. Den Anblick schien sie als ein wenig tröstlich zu empfinden.
Ailysa folgte ihr, und ein Lächeln huschte ihr über die Lippen, als sie die drei Kleider sah, die schon für die Reparaturen bereitgelegt waren. Wenn sie sich nicht allzu sehr täuschte, hatte Ahnzhelyk mindestens zwei von ihnen ganz bewusst eigenhändig zerrissen, doch das war ganz typisch für sie. Wenn sie eine Näherin herbeirief, um Kleider reparieren zu lassen, so waren die betreffenden Kleider auch beschädigt … wie auch immer das geschehen sein mochte.
Ailysa öffnete ihre Tasche und nahm Nadeln, Faden, Schere und Fingerhüte heraus … und ihr fiel auf, dass sie allesamt, vom Faden abgesehen, in Charis hergestellt worden waren. Zu den Dingen, die Ahnzhelyk auf die Idee gebracht hatte, Ailysa in diese Rolle schlüpfen zu lassen, gehörte auch, dass ihre Freundin eine wahrhaft außerordentlich geschickte Näherin war. Natürlich lag das nur daran, dass dies zu den bevorzugten Freizeitbeschäftigungen einer sehr wohlhabenden Frau gehörte, und nicht etwa, weil sich ›eine Dienerin‹ damit ihren Lebensunterhalt hätte verdienen müssen.
Ailysa nahm in einem deutlich bescheideneren, aber immer noch bequemen Sessel Platz und nahm sich das erste der Kleider vor, während Ahnzhelyk weiterhin nachdenklich aus dem Fenster blickte. Einige Minuten vergingen, bevor Ahnzhelyk sich wieder rührte; sie wandte den Kopf zur Seite, stützte ihn in die Hand und blickte Ailysa an.
»Wirst du es den Jungs erzählen?«, fragte sie leise, und kurz hielt Ailysa, die gerade einen Saum nähte, mitten in der Bewegung inne. Sie blickte die Spitze der Nadel an, biss sich auf die Lippe und schüttelte dann den Kopf.
»Nein. Nein, noch nicht.« Ihre Nasenflügel bebten, und dann nähte sie weiter, mit ruhigen, perfekt gesetzten Stichen. »Natürlich werden sie es irgendwann erfahren müssen. Und ich glaube, Tymythy vermutet bereits, was hier geschieht. Aber ich werde nicht das Risiko eingehen, es ihnen zu erzählen, bevor ich nicht an irgendeinen sicheren Ort gekommen bin. Oder zumindest …« − sie verzog die Lippen zu einem bitteren Lächeln − »… an einen sichereren Ort.«
»Ich könnte dafür sorgen, dass du schon morgen auf ein Schiff kommst.« Ahnzhelyks Vorschlag klang äußerst vorsichtig, doch Ailysa schüttelte erneut den Kopf.
»Nein.« Ihre Stimme klang jetzt deutlich rauer. »In allzu vielerlei Hinsicht war es keine wahre, keine gute Ehe, aber er ist und bleibt mein Gemahl. Und nun, da sein Leben dem Ende zugeht, hat er, so glaube ich, wenigstens eine Spur genau des Mannes in sich gefunden, den ich immer tief in seinem Innersten verborgen gewusst habe.« Sie blickte zu Ahnzhelyk auf, und nun standen auch in ihren Augen Tränen. »Ich werde diesen Mann nicht im Stich lassen, wenn er ihn nun endlich gefunden hat.«
»Es wird entsetzlich werden«, warnte Ahnzhelyk sie. »Und das weißt du auch.«
»Ja, das weiß ich. Und ich möchte mich daran erinnern können.« Ailysas Miene verhärtete sich noch mehr. »Ich möchte ihnen davon berichten können, wie es war, und was sie ihm angetan haben − ›im Namen Gottes‹.« Die letzten drei Worte troffen vor Verbitterung, und Ahnzhelyk nickte bedächtig.
»Wenn es das ist, was du wünschst«, sagte sie sanft.
»Ich möchte ihnen davon berichten können«, wiederholte Ailysa.
Einige Sekunden lang blickte Ahnzhelyk sie nur schweigend an, dann lächelte sie, und in ihrer Miene standen Zuneigung, Trauer und zahllose Erinnerungen gleichermaßen.
»Es ist so schade, dass er es niemals erfahren hat«, sagte sie. Ailysa blickte sie an, als verblüffe sie dieser vermeintliche Themenwechsel.
»Was ›erfahren‹?«
»Das über uns. Wie lange wir einander schon kennen, und was wir in ihm zu sehen gehofft hatten. Es ist mir so schwergefallen, ihn nicht einfach an seiner Soutane zu packen und solange zu schütteln, bis er zu Sinnen kommt!«
»Das konnten wir nicht riskieren. Na ja, du konntest das nicht riskieren. Vielleicht hätte ich das tun sollen, aber er war immer viel zu sehr mit diesem Spiel beschäftigt. Er hat es nie gehört, wenn ich bewusst eine kleine Andeutung habe fallen lassen, und er hat auch nie einen Vorschlag als solchen erkannt. Die sind
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