Codename Merlin - 3
Sharleyan in der gesamten Geschichte von Chisholm erst die zweite, und Königin Ysbell hatte man nach einer Regierungszeit von noch nicht einmal vier Jahren abgesetzt. Das wurde nach dem Tode von König Sailys als ein alles andere als beruhigender Präzedenzfall angesehen, und so hatte sich mehr als einer seiner Ratgeber bereit erklärt, sich um seine Tochter ›zu kümmern‹. Einige von ihnen, das wusste Sharleyan, hatten insgeheim gehofft, sie werde rasch in Ysbells Fußstapfen treten. Und selbst von denjenigen, die nicht ganz so weit zu gehen bereit waren, hegten doch einige die Hoffnung, die jugendliche Königin werde schon bald an einen geeigneten Kandidaten verheiratet − vielleicht gar sie selbst, oder einen ihrer Söhne −, damit dieser Gemahl dann die erforderliche männliche Führung übernehmen könne, die Sharleyan zweifellos benötigte.
Nun, Meine Lords, dachte sie mit grimmiger Belustigung und beobachtete ihre Mienen, hinter denen sie mit unterschiedlichem Erfolg versuchten, ihre Konsterniertheit über ihre letzten Worte zu verbergen, jegliche ›männliche Führung‹, die ich gebraucht haben mag, habe ich dann wohl von Mahrak erhalten, nicht wahr?
Green Mountain hatte das trauernde Kind, das gerade erst seinen Vater verloren und eine Krone geerbt hatte, behutsam darauf hingewiesen, dass sie sich würde entscheiden müssen, ob sie lediglich regieren oder doch herrschen wolle. Schon damals, und trotz des schmerzlichen Verlustes, den sie erlitten hatte, war die junge Sharleyan reif genug gewesen, genau zu verstehen, was ihr erster Ratgeber ihr dort erklärte, und es lag absolut nicht in ihrer Absicht, die Regierungsgeschicke von Chisholm in die Hände der verschiedenen Lords fallen zu lassen, die sich schon gierig die Lippen leckten und nur darauf warteten, die Macht im Königreich an sich zu reißen. Und die einzige Möglichkeit, einen für das Reich möglicherweise fatalen Richtungsstreit zu vermeiden, bestand darin, unmissverständlich zu verdeutlichen, dass es bereits jemanden gab, der mit fester − notfalls auch erbarmungsloser − Hand die Richtung der Politik vorgab.
Sie.
Einigen war es schwerer gefallen als anderen, das zu begreifen, und die Unbelehrbaren hatte man des Königlichen Rates verwiesen. Einer von ihnen, der Herzog Three Hills, hatte sich so hartnäckig gegen die Vorstellung gesperrt, ›bloß ein Mädchen‹ solle eigenständig das Reich regieren, dass Sharleyan sich gezwungen gesehen hatte, ihn mit einem Minimum an Güte und einem Maximum an Härte aus dem Rat herauszukomplimentieren. Nachdem er dann versucht hatte, ihre Entscheidung auf rechtswidrigem Wege rückgängig zu machen, klärte sie diese Frage mithilfe ihrer Armee und ihrer Flotte. Letztendlich wurde daraus dann das dritte Todesurteil, das Sharleyan persönlich unterzeichnet hatte − und mit dem Tode dieses Unbelehrbaren löste sich auch dessen Machtbasis auf.
Dieses Todesurteil zu unterzeichnen war − damals − das Schwierigste gewesen, was Sharleyan jemals getan hatte, doch sie hatte es getan. Und, so absurd das wirken mochte, in gewisser Weise würde sie Three Hills für alle Zeiten zu Dank verpflichtet sein. Er hatte der einzigen Person, für die es wirklich wichtig war − Sharleyan selbst −, gezeigt, dass ihr Rückgrat dafür ausreichte, stets das zu tun, was nun einmal getan werden musste. Und was diesem einen Herzog widerfahren war, hatte ausgereicht, um ihre restlichen Kritiker und Zweifler dazu zu bewegen, ihren Standpunkt noch einmal zu … überdenken: Offensichtlich war Königin Sharleyan eben nicht Königin Ysbell.
Dennoch war Sharleyan nicht überrascht, dass die heutige Ankündigung hier zu beträchtlicher Bestürzung führte. Offensichtlich vermuteten einige der Männer an diesem Tisch, dass ihnen die Entscheidung, die Sharleyan getroffen hatte, ganz und gar nicht zusagen würde.
Und damit haben sie auch nicht unrecht, dachte sie. Tatsächlich haben sie sogar noch viel mehr recht, als sie alle im Augenblick ahnen können.
»Wie Ihnen allen bekannt ist«, sprach sie dann nach kurzem Schweigen weiter, »hat König Cayleb von Charis uns seinen Ersten Ratgeber als persönlichen Gesandten geschickt. Mir ist bewusst, dass einige Mitglieder dieses Rates der Ansicht waren, es sei … sagen wir, unklug, Graf Gray Harbor zu empfangen. Oder überhaupt irgendeinen offiziellen Gesandten von Charis. Mir ist auch bekannt, woher diese Ansicht stammt. Aber, Meine Lords, selbst die robustesten Schiffe und
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