Codename Sparta 02 - Das Venusraetsel
hohe Doppeltüren, alle fest verschlossen. Auf einer war in einem kleinen Messingrahmen eine Visitenkarte befestigt: ›Société des Athanasians‹. Zur Linken wand sich ein betagtes Treppenhaus um das Gitter eines Aufzugschachtes. Die Tür stand offen. Sie stiegen ein, zogen das Gitter zu und warteten schweigend, bis sich der 200 Jahre alte Aufzug in Bewegung setzte. Bei jedem Stockwerk knarrte und ächzte er, das Gequietsche der elektrischen Kontakte hörte sich an wie Taubengeschrei.
»Wo sind wir?« wollte der junge Mann wissen.
»Wir fahren zum Archivar«, sagte die Frau. »Danach werden wir Ihnen etwas zu essen besorgen.«
»Etwas zu trinken wäre mir lieber«, sagte er.
»Ganz wie Sie wollen. Aber erst werden Sie etwas essen.«
Der Lift hielt im obersten Stock. Der Mann im schwarzen Jackett zog das Gitter zurück und ließ die beiden anderen aussteigen, dann zog er es wieder zu und fuhr mit dem Aufzug nach unten. Wie es schien, war seine Arbeit beendet.
Die Frau führte ihren Schützling bis ans Ende des Gangs, wo eine Tür offen stand. Sie betraten ein sehr hohes Büro, dessen Wände hinter Bücherregalen verschwanden. Die großen Fenster führten auf einen Balkon. Der Turm von Saint Germain des Pres wurde von Spitzengardinen dekorativ eingerahmt.
»Aha, da ist also unser wißbegieriger junger Mann.« Der Sprecher lehnte bequem an einer Ecke des Empireschreibtisches und ließ sein cordbekleidetes Bein mit dem blankpolierten Schuh baumeln. Er war um die Fünfzig, sonnengebräunt und trug ein elegantes, weißes, handgefertigtes Hemd. »Und wie heißt der junge Mann?«
Die Frau antwortete: »Ich fürchte, wir hatten noch keine Zeit, uns kennenzulernen.«
Der Verwahrloste starrte den Mann an. »Sie scheinen mich für einen Gelehrten zu halten.«
»Nun, Sie scheinen sich sehr für ägyptische Antiquitäten zu interessieren. Sie haben sehr viel Interesse für die jämmerlichen Schaustücke im Schaufenster unseres Freundes Monsieur Bovinet gezeigt, und das bereits seit einigen Tagen.«
Der Verwahrloste kniff die Augen zusammen. Seinem Gesicht war die Verwirrung anzusehen, als er versuchte, die Feindseligkeit abzulegen. »Die Sachen haben etwas Besonderes«, murmelte er.
»Sagen sie Ihnen vielleicht etwas?«
»Ich kann die Schrift nicht lesen.«
»Aber Sie würden es gerne können«, sagte der ältere Mann und bestätigte damit den unausgesprochenen Wunsch. »Und zwar weil Sie überzeugt sind, daß sich dort irgendein Geheimnis verbirgt, das Ihnen möglicherweise irgendwann einmal das Leben retten und Ihnen die Freiheit bringen könnte.«
Der andere sah ihn wieder feindseliger an. »Woher wollen Sie das wissen. Sie kennen mich doch gar nicht.«
»Nun ja …« Das Lächeln des Mannes war sehr faszinierend und sehr kühl. »Da haben Sie natürlich recht …« Er beugte sich über den Schreibtisch und drückte auf die Tastatur eines Datenspeichers. »Ihren Namen kenne ich natürlich nicht. Aber den werden wir brauchen, wenn wir Sie einstellen sollen, meinen Sie nicht auch?«
Der junge Mann starrte ihn argwöhnisch an. Die Frau hatte ihn noch immer nicht losgelassen. Jetzt beugte sie sich vor, um ihm Mut zu machen. »Ich bin Catherine, und das ist Monsieur Lequeu. Wie heißen Sie?«
Er sprudelte es hervor. »Guy. Ich heiße Guy.«
»Seien Sie unbesorgt, Guy«, sagte Lequeu. »Ab jetzt ist für Sie gesorgt.«
Im Gegensatz zu den vielen anderen Menschenjägern, die es schon seit der Antike immer wieder gegeben hatte, waren Lequeu und die Athanasier äußerst wählerisch. Leute über 30 interessierten sie ebensowenig wie ernsthaft Kranke, Leute mit einem schweren körperlichen oder geistigen Gebrechen oder Menschen, die bereits soviel mit Drogen zu schaffen hatten, daß man einen organischen Schaden vermuten mußte. Reue interessierte sie nicht, und Bedürfnisse kaum mehr. Die Athanasier bekehrten die Menschen nicht, wie ein Fischer seine Fische fing. Sie waren eher wie Rancher, die Vieh einkauften. Hätte Blakes verwahrloste Verkleidung zu überzeugend gewirkt, hätte man ihn vermutlich gar nicht weiter beachtet und Monsieur Bovinet hätte wohl auch gar nicht erst die Polizei gerufen – wodurch Blake in der Sicht der Athanasier zu einer schnellen Entscheidung gezwungen worden war.
Zuerst gaben ›Guys‹ Retter ihm etwas zu essen und ein Glas recht guten Weins. Dann brachten sie ihn zu seinem Zimmer in einem Keller mit weiß getünchten Wänden. Es enthielt ein Bett, einen abschließbaren
Weitere Kostenlose Bücher