Codename Sparta 02 - Das Venusraetsel
gekleidete Männer und Frauen, alles potentielle Kunden, das Geschäft mit einem mißtrauischen Blick streiften und rasch an der offenen Tür vorbeigingen. Und das war jetzt schon drei Tage lang jeden Abend so gegangen. Seine Geduld hatte ein Ende.
»Hau ab«, sagte er. »Mach schon, verschwinde.«
Der abgerissene Bursche sah sich großartig um. »Ist das deine Straße, mon cher!«
»Willst du hier vielleicht Wurzeln schlagen? Los, mach, daß du verschwindest, aber schnell.«
»Trou de balle, toi.« Damit setzte er sein Studium der Papyrusrolle fort.
Das aufgequollene Gesicht des Ladenbesitzers war rot angelaufen, er ballte die Fäuste. Ohne Zweifel hätte er den Burschen mit einer einzigen Handbewegung aus seinen lächerlichen hochhackigen Stiefeln schlagen können, aber das spöttische, selbstsichere Auftreten des Kerls ließ ihn innehalten. Warum sollte er Ärger mit dem Gesetz riskieren? In fünf Minuten würden die flics diesen Kerl ins Arbeitslager schaffen, ohne daß er auch nur den Finger krumm zu machen brauchte.
Er drehte sich abrupt um, ging zurück in seinen Laden und schloß die Tür hinter sich. Dann griff er nach dem Kommlink in seinem Ohr.
Der Kerl sah von draußen zu und grinste, dann blickte er aus den Augenwinkeln kurz zu der Frau hinüber, die die ganze Vorstellung von der Ecke der Rue Bonaparte verfolgt hatte. Seit zwei Tagen schon hatte sie sich keine Minute entgehen lassen, ebensowenig wie ihr Freund, ein langhaariger Mensch in einem schwarzen Plastikjackett, der aussah, als würde er sich am wohlsten in einem Boxring fühlen.
Eine Woge perfekt gestylter Menschen bevölkerte auf ihrem abendlichen Spaziergang die schmale Rue Jakob von einer Seite zur anderen. Nur eine gelegentliche Autohupe unterbrach das leise Stimmengewirr, deshalb konnte man sofort die Sirene des Polizeiwagens hören, obwohl er immer noch einen Block entfernt war und sich erst einen Weg durch die Menge bahnen mußte. Der Besitzer der Librairie de l’Egypte nahm die Hand vom Ohr und grinste den Kerl draußen siegessicher an.
Eine Hand legte sich auf dessen Ärmel. Er riß sich los, stolperte einen Schritt zurück und verzog das Gesicht. »Faß mich nicht an.«
»Keine Angst, es ist alles in Ordnung.« Es war die Frau. Aus der Nähe war ihre Größe noch eindrucksvoller.
Ihr rundes slawisches Gesicht war sonnengebräunt, mit grauen Mandelaugen unter fast unsichtbaren Brauen. Ihr weißblondes, glattes Haar fiel ungehindert bis zur Taille ihres weißen Baumwollkleides. Sie wirkte trotz ihrer langen Beine muskulös, und ihre vollen Lippen vor den leicht vorstehenden Schneidezähnen gaben ihrer Schönheit etwas Gefährliches. »Wir können Ihnen helfen.«
»Ich brauche Ihre Hilfe nicht …«
»Sie können jeden Augenblick hier sein …« Mit ihrem runden Kinn deutete sie auf das Blaulicht, dessen Widerschein bereits auf den weißgeputzten Wänden und Fensterläden in der Straße zu sehen war. Die Polizeisirene heulte wieder kurz auf, sie war schon sehr nah und schien wegen der Menschenmenge die Geduld zu verlieren.
»Wir können Ihnen besser helfen, als die dort.«
»Ach ja? Und wie?«
»Von uns können Sie alles haben«, sagte sie. Sie sprach sehr leise und eindringlich auf ihn ein. »Essen, einen Platz zum Wohnen, Freunde, wenn Sie wollen – und vieles mehr. Haben Sie keine Angst.«
Sie berührte ihn am Arm und faßte seine verschmutzte Kleidung mit ihren farblosen Fingerspitzen. Sie zog sachte, und er machte einen unentschlossenen Schritt vorwärts.
»Lassen Sie sich nicht von denen erwischen«, sagte sie. »Sie sind dafür bestimmt, in Freiheit zu leben.«
»Wohin gehen wir?«
Ihr Begleiter hatte bis jetzt mit ausdruckslosem Gesicht zugesehen. Er sagte: »Bleiben Sie dicht hinter mir.«
Sie drehten sich um und drängten sich in die Menge auf der Straße. Der Mann verschaffte ihnen Platz, und die Frau ging dicht hinterher. Sie hatte den jungen Mann jetzt fester gepackt. Ihre Finger erwiesen sich als überraschend kräftig, als sie seinen Ellenbogen hielt.
Der Polizeiwagen hielt vor der Librairie de l’Egypte und war sofort von neugierigen Schaulustigen umringt. Zur gleichen Zeit huschten der Flüchtige und seine Retter in einen Hinterhof an der Rue Bonaparte und rannten über das Kopfsteinpflaster auf eine schwarze Eisentür zu. Editions Lequeu stand auf einem Messingschild. Der Mann drückte die Tür auf, und die anderen liefen schnell hinein.
Der schmale Flur war mit Marmor ausgelegt. Rechts waren
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