Codename Sparta 02 - Das Venusraetsel
ihn und schnappte sich eine Flasche Abflußfrei aus dem Regal über dem Becken. Obwohl Pierre versuchte, ihn zurückzustoßen, hämmerte er die zerbrechliche Plastikflasche mit aller Kraft gegen den Beckenrand. Blake preßte Augen und Mund fest zusammen und hielt die Luft an, dann riß er sich das Hemd übers Gesicht. Pierre holte zu einem Schlag aus, aber Blake duckte sich und tauchte darunter hinweg. Dann fing Pierre an zu schreien.
Lequeu schrie vor Schmerzen auf und griff sich an die Kehle. Die ätzende Bleiche reagierte in dem Spülbecken und stieß dichte Chlorgaswolken in den Raum, die Augen und Haut angriffen, Schleimhäute und Lungen.
Blake stolperte mit geschlossenen Augen zur Tür. Er schaffte es beinahe – aber Lequeu reckte den Arm vor, und Blake spürte, wie die Injektionsnadel seine Schulter streifte, während er blindlings auf die Tür zustolperte. Er ließ zwei keuchende, hilflos auf dem Boden zappelnde Gestalten zurück.
Das Nervenstimulans war echt. Noch bevor Blake auf der Straße war, fing er unkontrolliert an zu stammeln. Die Tränen strömten ihm übers Gesicht, als er die Rue Jakob entlanglief, dabei sprudelte er aus dem Stegreif einen Monolog heraus: »… Pierre Pussycat, so sollten sie dich nennen, all die Muskeln von der Übungsmaschine sind doch nicht echt, sein Leben lang hat er nicht einen Tag gearbeitet, genau dein Typ … «
Ursprünglich hatte Blake zum nächsten Polizeirevier laufen wollen, aber es würde noch Stunden dauern, bis er wieder halbwegs vernünftig reden konnte. Bis dahin mußte er irgendwo untertauchen, wo niemand auf seine plötzlichen Ausbrüche geistiger Verdauungsbeschwerden achten würde.
Er lief zu den Quays am Flußufer, die er gut kannte, und wo an sonnigen Nachmittagen wie diesem ein oder zwei seiner früheren Kumpel unter den Kastanienbäumen saßen und die Passanten anschnorrten, die sich alle Mühe gaben, so zu tun, als hätten sie nichts gehört.
Inzwischen stammelte er weiter völligen Unsinn: »… und was sie anbetrifft, Lequeu, wer ist überhaupt dein Schneider? Du solltest ihm sagen, er soll sich nach einem anderen Job umsehen.«
»Ich will ganz offen sein, Mademoiselle …«
»Ich bin Inspektor, Lieutenant.«
»Ja, richtig«, sagte der Polizist und hakte den Zeigefinger in seinen hohen, steifen Kragen. »Inspektor … Troy. Wie auch immer, diese wertvolle Papyrusrolle – der Direktor hat bereits zugegeben, die Rolle wäre nie vermißt worden, hätte dieser unglückliche Zwischenfall mit dem Wärter die Museumsleitung nicht dazu gezwungen, eine genaue Bestandsaufnahme der Abteilung durchzuführen, in der der junge Mann gearbeitet hat.«
Sie saßen im engen und überfüllten Büro des Lieutenants im Polizeihauptquartier auf der Ile de la Cité. Durch das verschmierte Fenster hinter dem Kopf des Lieutenants konnte Sparta die Kastanien sehen und die Mansardendächer der Wohnungen auf dem anderen Ufer der Seine.
»Wie wurde der Wärter überfallen?« fragte Sparta.
»Mit einer Minimaldosis eines Beruhigungsmittels, das ihm durchaus gekonnt mittels einer Injektionswurfnadel in den Hals verabreicht wurde.«
»Eine gefährliche Stelle.«
»Hier ist der Pfeil.« Er hielt ein Plastikpäckchen hoch, das einen winzigen, glänzenden Metallfaden enthielt.
»Beinahe mikroskopisch fein. Damit hätte man die Halsschlagader ohne ernsthafte Verletzungen durchbohren können, allerdings steckte es in Wirklichkeit nicht einmal in der Nähe. Meiner Einschätzung nach wußte dieser Monsieur ›Guy‹ genau, was er tat. Was wir nicht wissen, ist das Warum. Können Sie uns weiterhelfen, Inspektor?«
»Ich kann Ihnen nur sagen, daß dieser ›Guy‹ ein Agent ist, der mit Ermittlungen über eine Gruppe zu tun hat, die sich die prophetae des Freien Geistes nennt – das zumindest ist der Name, unter dem sie vor einigen Jahrhunderten bekannt waren. Wie sie sich heute nennen, wissen wir nicht. Wir haben seit über vier Monaten nichts mehr von ›Guy‹ gehört.«
»Trotzdem sind Sie hier«, bemerkte der Lieutenant trocken.
»Ich habe eine kodierte Nachricht erhalten, in der ich … gebeten wurde … mich mit Guy im Louvre zu treffen.«
»Er war mit Ermittlungen beschäftigt, sagen Sie?« Der hellwache, grauhaarige Franzose betrachtete sie mit berufsüblicher Neugier und der geradezu angeborenen Voreingenommenheit, die für den Pariser flic typisch war, wie sie mittlerweile gelernt hatte. »Welcher Art waren diese Ermittlungen? Und wer sind diese
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