Codename: Sparta - 6 - Das Weltenschiff
Mädchen gegenüber sein Versprechen halten? Wie kann er ihr eine Welt wiederbringen, die sie im Grunde nie richtig gekannt, sondern nur aus ihren Wunschvorstellungen und Erinnerungen geschaffen hat?
00.11.26.19
Meine ethnografischen Aufzeichnungen über die Amaltheaner füllen jetzt fast schon einen ganzen Chip. Meine Mineraliensammlung wächst mit jedem Tag, wie auch meine Sammlungen von Pflanzen, Tieren, Mikroorganismen. Die Formen amaltheanischen Lebens gleichen in erschreckendem Maße denen auf der Erde. Oft, wenn ich selbst nie etwas Vergleichbares auf der Erde gesehen habe, kennt es einer meiner Kollegen. Dann wieder kennt keiner von uns diese besondere Art, doch der allgemeine Typus ist bekannt. Manchmal aber haben wir etwas wahrhaft Außerirdisches vor uns.
Und ich verfüge über ausgezeichnete Musterexemplare. Jedesmal, wenn ich ein noch besseres Stück von irgend etwas entdeckte, das ich bereits habe, werfe ich das alte Exemplar unbarmherzig über Bord und tausche es aus. Jeder, der die selbstgebastelten Kisten aus Holz und Papier entdeckt, diese Phiolen aus derber Töpferei, diese Plastikschälchen, wird sich begeistert von ihrem Inhalt zeigen und glauben, der urzeitliche Mars sei ein Ort der Vollkommenheit, der nirgendwo in der Galaxis seinesgleichen habe.
Es sei denn, es gäbe Orte wahrer Vollkommenheit.
Angus ist bei dieser Arbeit eine außergewöhnliche Hilfe. Der Mann verfügt über die ungewöhnlichsten, weit gestreuten Kenntnisse und ist auf universelle Art an den unmöglichsten Dingen interessiert. Unter anderem hat er offenbar die zahlreichen Verzeichnisse der Natur auswendig gelernt. Oft, wenn er den Namen eines bestimmten Fundstücks nicht weiß, sei es der eines Fisches, einer Pflanze oder eines erzhaltigen Gesteins, schlägt er eine Analogie vor. Von den sechs unter uns, die wir wohl oder übel die Aufgaben von Adam und Eva aufgeteilt haben, hat Angus die Rolle übernommen, den Dingen Namen zu geben. Auf diese Weise erhalten wir eine auf den Mars zugeschnittene, halb phantastische und mythologische, halb prosaische und in Linear-A verfaßte Klassifizierung, ein ganz neues systema naturae. Auf diese Weise entstehen Namen wie Bufo elephantophus (ein großer Frosch), oder Lebistus McNeilis (eine Art Guppy), oder Puccinia pandorae (eine weizenartige Pflanze, die unangenehme Begleiterscheinungen hervorruft, wenn man sie nicht richtig kocht), oder Raphanus novus (ein Rettich). Ich sollte vielleicht noch hinzufügen, daß keiner von uns vorgibt, sich noch ernsthaft an sein Latein zu erinnern. Dabei schließe ich mich selbst nicht aus, da ich in Latein viel weniger bewandert bin als in Griechisch.
00.21.07.08
Die Medusen haben die öden Felder des Mars mit einem Übermaß an Samen besät, der explosionsartig zum Leben erwacht ist. Die Pflanzen sind wie wild in die Höhe geschossen; verblüfft habe ich verfolgt, wie die Ränder blauer Meere Flußufern gleich mit grünen Wiesen überwuchert wurden, wie die Hänge niedriger, rötlicher Hügel mit einer Art Dornendickicht oder Maquis aus niedrigem Gebüsch überzogen wurden, wie auf den Kämmen der Täler die zackige Silhouette gebeugter Bäume entsteht. Wo zuvor Meer ohne Leben war, tummelt sich jetzt grünes Leben, so grün wie jene ›Kanäle‹ der alten Science-fiction-Schriftsteller.
Der Sauerstoffanteil in der Atmosphäre ist schneller angestiegen, als jeder hätte vorhersehen können. Das manische Wuchern pflanzlichen Lebens, das sich von Kohlendioxid ernährt und Sauerstoff ausscheidet, erklärt das Anwachsen des Sauerstoffgehalts nur zu einem geringen Anteil. Jene weißen Fabriken, die man überall auf dem Mars sieht, auf dem gesamten Globus, sind in Wirklichkeit riesige Varianten unserer Enzym-Atemgeräte. Ich bin dahintergekommen, was mit dem Kohlenstoff geschieht. Transportketten fliegender Medusen füttern den Kohlenstoff in die Schlünde gewaltiger Vulkane – direkt in den Boden, durch große Schächte, die die Amaltheaner in die Magmaschichten tief unter der Oberfläche getrieben haben. Dort soll er aufbewahrt und durch geologische Vorgänge allmählich wieder aufbereitet werden. Welche Zwecke verfolgen sie damit? Mehrere, denke ich, aber das wird die Zeit zeigen.
Mit der berauschenden Fülle an Sauerstoff entstand auch eine Vielzahl an tierischen Arten. Insekten beleben die Wiesen: stöckchenartige Libellen, neonblau und mit schwarzen Augen, Wolken von Mücken und Moskitos, Ameisen und Spinnen wimmeln zwischen den
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