Codename Tesseract - Wood, T: Codename Tesseract - The Killer
höher er kam. Er hatte sich bereits jetzt mehr zugemutet als gut gewesen wäre. Er war verletzt. Er brauchte eine Pause, wenigstens für ein paar Tage, musste seinem Körper Zeit zur Heilung lassen. Bald, sagte er sich.
Kurz vor dem Gipfel des Felsvorsprungs stieß er auf das Lager des Attentäters. Es sah so aus, als hätte er die Nacht hier verbracht: eine einsame Winterjacke, ein Rucksack, eine Zweiliter-Flasche, halb voll mit Urin, und ein Plastikbeutel mit Kot. Die Jackentaschen waren leer. Victor nahm den Rucksack und schlang ihn über die eine Schulter, während er seine eigene Tasche über die andere warf. Dann folgte er einer weiteren Spur, die von Westen kam und tiefer in den Wald führte. Es hatte im Verlauf der letzten zwölf Stunden zwar geschneit, aber kaum mehr als zwei, drei Zentimeter. Die Vertiefungen im Schnee waren immer noch gut zu erkennen.
Nach vierzig Minuten hatte er das Fahrzeug seines Widersachers erreicht. Ein Toyota-Geländewagen, der auf einem Waldweg parkte. Victor durchwühlte die Seitentaschen des Rucksacks, entdeckte die Schlüssel und schloss den Wagen auf.
Plötzlich verharrte er, legte die Hand an die Brust. Er würgte, schmeckte Eisen, hustete Blut. Vornübergebeugt blieb er ungefähr eine Minute lang stehen, bis der Schmerz nachgelassen hatte. Dann wusch er sich mit einer Handvoll Schnee den Mund aus und nahm noch ein wenig mehr Schnee, um das Blut auf dem Boden zu bedecken.
Im Fahrzeug fand sich nichts, wodurch sich der Mann, der versucht hatte, ihn zu töten, hätte identifizieren lassen. Auf Heck- und Windschutzscheibe klebte der Aufkleber einer Autovermietung, die Papiere lagen im Handschuhfach. Der Wagen war mit Sicherheit unter falschem Namen angemietet worden. Victor warf die beiden Taschen auf den Rücksitz und ließ den Motor an. Dann fuhr er vorsichtig rückwärts auf die Straße.
Schließlich stieß er einen tiefen Seufzer aus. Wer es auch sein mochte, der ihm nach dem Leben trachtete, er hatte seinen Wohnort herausgefunden. Ein Ding der Unmöglichkeit, wäre ihm nicht gerade auf solch dramatische Weise das Gegenteil bewiesen worden. Im Rückspiegel sah Victor den Rauch seines brennenden Chalets über die Wipfel der Bäume steigen. Wenn
derjenige, der ihm nach dem Leben trachtete, ihn hier gefunden hatte, dann konnte er ihn überall finden.
Das Scheinleben, das er sich aufgebaut hatte, war somit unwiderruflich beendet.
Kapitel 22
Paris, Frankreich Donnerstag 15:16 MEZ
Alvarez nahm einen großen Schluck von seinem Kaffee mit drei Stück Zucker und bearbeitete mit ungeschickten Fingern die Tastatur auf seinen Oberschenkeln. Er hatte die Schuhe ausgezogen und die Füße auf den Schreibtisch gelegt. Ein praktisch leerer Plastikkugelschreiber klemmte zwischen seinen Zähnen und wurde langsam zerkaut. Er saß in seinem improvisierten Büro der CIA-Niederlassung in Paris, im ersten Stock der US-Botschaft.
Das Büro war kaum groß genug für ihn und seinen Schreibtisch, und er bezeichnete es gern als seinen Schuhkarton. Aber immerhin war es ruhig. Im Augenblick konnte er wirklich keine Ablenkung gebrauchen. Neben seinen Füßen stand ein Foto von Christopher. Es war während des Krippenspiels in der Schule aufgenommen worden, wo er einen Hirten dargestellt hatte. Der kleine Kämpfer hatte seine Sache großartig gemacht, und das, obwohl die Kinder, die die Schafe gespielt hatten, nicht einmal ein anständiges Määäh herausgebracht hatten.
Die Suche nach Ozols’ Killer verlief alles andere als zügig. Falls er wirklich unter dem Namen Alan Flynn reiste, dann hatte er, nach Auskunft der Tschechen, das Land nicht wieder verlassen, aber Alvarez hielt es für wahrscheinlicher, dass er einfach den Pass gewechselt hatte und wer weiß wohin geflogen war. Alvarez hatte weder die Zeit noch die Leute für eine europaweite Suche, also konzentrierte er sich in erster Linie auf die
sieben toten Attentäter. Wenn er ihren Auftraggeber ermitteln konnte, dann erfuhr er unter Umständen so viel über Ozols’ Mörder, dass er auch dessen Auftraggeber identifizieren konnte. Und dann ließen sich die Raketen vielleicht doch noch bergen, oder man konnte zumindest verhindern, dass die Feinde Amerikas sie in die Finger bekamen.
In den letzten Tagen hatte er eine ganze Menge erfahren. Michail Swjatoslaw, der Mann, dessen Stelle der Killer eingenommen hatte, war ein ehemaliger Angehöriger der Spetsnaz, einer Spezialeinheit des sowjetischen Geheimdienstes. In den Achtzigerjahren war er
Weitere Kostenlose Bücher