Codewort Geronimo - der Augenzeugenbericht zum Einsatz der Navy-SEALs gegen Osama bin Laden
waren. Der Kurier hob sein Gewehr und feuerte auf Hüfthöhe eine Salve nach links. Das Mündungsfeuer erleuchtete die Mauern, als Abu Ahmed al Kuwaiti eine weitere Salve abfeuerte. Seine AK spuckte Feuer.
Mel hörte in seinem Headset knackend die Aufforderung: „Schalte ihn aus.“ Es war seine eigene Stimme. Die Worte hatten sich unwillkürlich zwischen seinen Ohren gebildet und waren über seine Zunge gerollt. Er hatte sie nicht bewusst ausgesprochen. Seine Aufmerksamkeit galt ganz allein der Zielperson. Sie befanden sich jetzt in einem Feuergefecht und er stellte seine Waffe von Einzelfeuer auf Automatik um. Razor 2 legte sich leicht nach backbord. Als Kuwaiti ins Blickfeld kam, schoss der Scharfschütze neben Mel zweimal. Mel feuerte zwei Dreiersalven auf den Mann mit dem Gewehr. Die Schalldämpfer schnauften. Alle Kugeln trafen al Kuwaiti.
Er stand in der Tür und wurde von den Füßen gehoben. Seine AK-47 wurde ihm in einem Halbkreis nach oben aus den Händen gerissen. Zwei der Kugeln durchschlugen seinen Brustkorb und töteten auch die Person, die hinter ihm stand. Es war seine Frau.
38 MINUTEN
WIE SICH EIN STEALTH-HAWK-HUBSCHRAUBER anhört, ist schwer zu beschreiben: Manche sagen, es sei eher ein Gefühl als ein Geräusch. Man spürt ihn erst, bevor man ihn hört. Wenn sich ein Stealth Hawk nähert, klingt er leise und weder besonders resonant noch tief. Man nimmt zunächst ein Zischen oder Fauchen wahr, das sich dann zu einem brummenden Dauerton entwickelt – wie ein Ventilator, der in einem entfernt gelegenen Zimmer läuft. Selbst wenn man darauf wartet – wenn man weiß, dass ein Stealth Hawk im Anflug ist und wo er landet –, spielt er den Ohren einen Streich. Er ist zwar nicht total geräuschlos, doch auch nicht laut genug, als dass man sein Motorengeräusch mit einem Luftfahrzeug verbinden würde, das schwebt oder fliegt. Im Schwebeflug klingt ein Stealth Hawk wie ein kleiner Wasserfall – ein undefinierbares Rauschen. Und dieser Klang überträgt sich nicht sehr gut.
Stealth Hawks machen Eindruck. Und sie machen Angst. Sie können eine dreiköpfige Besatzung und in der Kabine noch bis zu 20 Männer befördern. Sie und ihre großen Brüder, die Ghost Hawks, werden nur von Angehörigen der TF-160 geflogen, ausschließlich nachts. Die Heckflosse bildet einen spitzen Winkel und der Heckrotor ist abgedeckt. Die steile Windschutzscheibe des Cockpits und die tiefgezogenen Seiten des Rumpfes verleihen dem Hubschrauber etwas Bedrohliches, Lebendiges – wie nicht von dieser Welt.
Um alle Scheiben und Türen laufen schwarze Winkel. Sie zerstreuen Radarwellen, wenn diese auf glatte Flächen auftreffen. Die Stealth Hawks sind in der Farbe des Himmels gestrichen, vor dem sie fliegen – manche schwarz, manche grau, ein paar schwarz-grau-marmoriert. Aus nächster Nähe wirkt so ein Stealth Hawk wie ein langer, leicht buckliger Hai.
In jener Nacht stießen zwei solche Hubschrauber aus den Bergen auf die Felder vor Abbottabad herab. Razor 1 war „on the deck “, flog also niedriger als 15 Meter. Razor 2 folgte etwas weiter links und vielleicht sechs Meter höher. Sie hielten mit 200 Kilometern pro Stunde auf ihr Ziel zu. So nah über dem Boden und in dieser Geschwindigkeit würden sie Sekunden, nachdem man ihre Triebwerke hören konnte, über dem Zielobjekt sein.
Osamas Schlafzimmer im zweiten Stock ging von einem kurzen Flur an der Treppe ab. Das Zimmer, in dem er mit Amal und seiner anderen Frau schlief, führte auf eine Art Terrasse hinaus, die von einer zwei Meter hohen Betonmauer umgeben war. Auf dieser umfriedeten Terrasse war man vollkommen ungestört. Niemand konnte sie einsehen, doch das bedeutete auch, dass niemand hinaussehen konnte. Wer sich dort oder in dem angrenzenden Zimmer aufhielt, konnte nur aus einer Richtung Geräusche wahrnehmen – von oben. Für die anfliegenden Stealth Hawks wirkte das wie ein Lärmschutzwall. Osama hörte die Hubschrauber erst, als sie schon direkt über seinem Kopf waren.
Es war fünf Minuten vor eins. Osama lag im Bett und schlief. Das Licht war ausgeschaltet. Um 1.00 Uhr wurde sein Schlafzimmer plötzlich von einem Summen erfüllt. Die Nacht war ruhig gewesen und die Glasschiebetür zur Terrasse stand einen Spalt breit offen, um Luft ins Zimmer zu lassen. Der Abwind der Rotoren von Razor 1 im Schwebeflug erzeugte auf dem engen Raum der Terrasse einen starken Luftwirbel. Mehrere Plastikstühle wurden gegen die Scheiben geschleudert. Ein gewaltiger Luftzug
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