Codewort Geronimo - der Augenzeugenbericht zum Einsatz der Navy-SEALs gegen Osama bin Laden
mehr hatte, wurde Marcinko das Kommando entzogen und er wurde durch Captain Bob Gormly ersetzt, einen erfahrenen, fähigen Offizier. Bei der Übernahme von SEAL-Team 6 hatte Gormly einen schweren Stand. Marcinko bekam einen Wutanfall, als sein zweijähriges Kommando nicht verlängert wurde. Mit seiner Reaktion auf seine Ablösung durch Bob Gormly verscherzte sich Marcinko die letzten Sympathien: Noch am selben Tag verabschiedete er sich nach Europa. Dabei war es ein unverzeihlicher Verstoß gegen die Etikette der Navy, eine Ablösungszeremonie zu versäumen. Dick Marcinkos Ruf war damit besiegelt. Er hatte selbst seine unverbrüchlichsten Befürworter vor den Kopf gestoßen. Das SEAL-Team 6 genoss eine ganz ähnliche Reputation als launische Diva der Naval Special Warfare.
Bei den anderen Teams hieß es, Team 6 produziere nur heiße Luft. Im Alleingang arbeitete Bob Gormly darauf hin, dass seine Mannschaft ihrem Mandat gerecht wurde. Der hochgewachsene, schweigsame Gormly war in Virginia Beach aufgewachsen. Seine erste Berührung mit den Teams hatte er, als er mit ein paar Surfern am Rudee Inlet unterwegs war. Gormly hielt sie insgeheim für Militärangehörige. Normale Arbeitszeiten hatten sie allem Anschein nach nicht. Auf dem Brett waren sie ziemlich gut und ganz offensichtlich liebten sie das Meer. Irgendwann fragte Gormly, was sie beruflich machten.
„Wir sind in der Navy“, kam die Standardantwort.
„Bei welchem Teil?“, fragte er.
„Dem atlantischen …“
So ging das ein paar Wochen, bis schließlich jemand dem Jungen eine ehrliche Antwort gab. Sie gehörten zu den UDT, den Underwater Demolition Teams. Als Bob fragte, was man da mache, entgegnete einer der Surfer: „Wir sind die Jungs, die ins Wasser springen, um Weltraumkapseln zu bergen.“
Gormly war Feuer und Flamme.
Nach dem College bewarb er sich für BUD/S und absolvierte den Lehrgang erfolgreich. Vor seiner Versetzung zum Team 6 hatte Gormly eine lange und legendäre Karriere bei der Naval Special Warfare. Er hatte Strandaufklärungsmissionen während der Kubakrise durchgeführt, und während des kurzen Einmarschs der USA in der Dominikanischen Republik hatte er ein Team von Schwimmerscouts angeführt. Er war mehrfach in Vietnam gewesen und hochdekoriert. Außerdem genoss er einen Ruf als sachlicher Profi.
In vielerlei Hinsicht war Bob Gormly ganz anders als Dick Marcinko. Mehr als jeder andere Offizier hat Gormly das Team 6 zu dem gemacht, was es heute ist. Unter Marcinko war Team 6 ein Konglomerat aus unechter Meritokratie und kriecherischem Personenkult. Marcinko hatte sich hochgedient, als echter „Mustang“. Er war zwar Mannschaftskapitän, hatte jedoch wenig Achtung vor seinen Offizierskollegen. Seit den Tagen von Mob Six hatte Marcinko sein eigenes Image gepflegt – durch gezielte Untergrabung der anderen Offiziere im Team. Er hatte die Angewohnheit, seine Sturmtruppführer ohne Vorwarnung abzulösen und unverzüglich zu feuern, wenn sie mit seinen Senior Chief Petty Officers oder ihm selbst in Konflikt gerieten. Dieses vorgeblich so kollegiale System sah bei Meinungsverschiedenheiten keine Vermittlung vor. Es gab nur eine taktische Meinung – und zwar Marcinkos. Dieses Arrangement nach dem Motto „Du bist der Boss“ sorgte zwar für Ergebenheit, brachte aber auch verheerendes „Gruppendenken“ in seiner schlimmsten Ausprägung hervor – eine Art kollektiven Größenwahn, der sich einstellt, wenn ein Team glaubt, dass es zu gut ist, um zu versagen.
Eine der grundlegenden Stärken der SEAL-Teams besteht darin, dass jeder zur Ausführung der Mission und auch zum Planungszyklus beiträgt. In ein SEAL-Team kommt jemand, weil er seine Sache gut macht. Gormly schweißte das Team wieder zusammen und formte aus Offizieren und Mannschaften eine geschlossene, kampfbereite Einheit. Es war Bob Gormly, der das SEAL-Team 6 durch die Feuertaufe des Kommandos führte.
Ursprünglich setzte sich SEAL-Team 6 aus drei operativen Einheiten zusammen, zwei operativen Teams und einem Trainingskader. Theoretisch befand sich ein Team im Einsatz, eins im Training und eins in Bereitschaft beziehungsweise „Schools/Deployment“. Als die Operation in Grenada durchgeführt wurde, boomte der Terrorismus. Man befand es bald für nötig, die Sturmteams auf drei (und später vier) operative Einheiten und eine Vollzeit-Trainingseinheit aufzustocken, das sogenannte Green Team.
Obwohl sie gleich ausgebildet, besetzt und ausgerüstet sind, hat jeder
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