Codewort Geronimo - der Augenzeugenbericht zum Einsatz der Navy-SEALs gegen Osama bin Laden
gegangen und schließlich Referent von Prinz Turki geworden. Osama traf seinen Lehrer auf einer von der Bin Laden Group gesponserten Veranstaltung wieder. Sie tauschten Höflichkeiten aus und der ältere Mann machte sich ein Bild von seinem ehemaligen Schüler. Osama war wohlhabend, hatte gute Verbindungen und er war hungrig. So wurde Osama vom saudischen Geheimdienst rekrutiert. Prinz Turki sah ihn als eine Zweckverbindung und als idealen Kandidaten zur Finanzierung des afghanischen Dschihad.
Reiche Leute umgeben sich gern mit Menschen, die schön oder interessant sind. Das ist so in New York und Paris, und in Mekka und Dschidda nicht anders. Osama wurde dem 34-jährigen Scheich Abdallah Azzam vorgestellt, seinerzeit schneidigster Teilnehmer am arabisch-afghanischen Kampf gegen die Sowjets. Osama verfiel der Strahlkraft des gebildeten, eloquenten und furchtlosen Mudschahed. Lawrence Wright machte deutlich, dass die romantische Vorstellung vom kämpfenden Priester im Islam ebenso stark ausgeprägt ist wie in der japanischen Shinto-Kultur. Abdallah Azzam war der Inbegriff der arabischen Manifestation dieses spirituellen, entschlossenen und unerschrockenen Kriegers.
Azzam war ein Religionsgelehrter mit einem Studienabschluss in islamischem Recht. Der gebürtige Palästinenser war wegen seiner feurigen Predigten nicht nur aus seinem Heimatland, sondern auch aus Jordanien und Ägypten ausgewiesen worden, bevor er nach Saudi-Arabien kam. Er war ein hochgewachsener, gut aussehender Mann mit grauen Strähnen im Bart. Der gewandte, geradezu hypnotisierende Redner trug die schwarz-weiß karierte palästinensische Kufiya, die ihn als Kämpfer und als Mann auswies, der entschlossen für die Freiheit eintrat.
Azzams Botschaft war einfach: Der Islam würde zu seinem Recht kommen, sobald die Muslime nicht mehr die Opferrolle übernahmen. Das Kalifat war durch Waffengewalt herbeigeführt worden und der erste Kalif des Islam, der Prophet Mohammed, war Prophet des Herrn und militärischer Führer zugleich. Es war die Pflicht eines jeden Muslims, den ungläubigen Invasoren Widerstand zu leisten, wenn sie in muslimisches Land einfielen. Bandaufnahmen von Azzams Predigten verrieten unter anderem seine Devise: „Nur der Dschihad und das Gewehr. Keine Verhandlungen, keine Konferenzen, kein Dialog.“
Azzam war eine Art Popstar des Dschihad.
Osama fungierte oft als Gastgeber, wenn Azzam Saudi-Arabien besuchte. Osama und seine Freunde hörten zu, wenn der Scheich ihnen spannende Geschichten über Gefechte mit sowjetischen Panzern erzählte. Azzam sagte, die Teilnahme am Heiligen Krieg sei für einen diensttauglichen Muslim nicht Möglichkeit, sondern Pflicht. Er sei verpflichtet, gegen die Sowjets ins Feld zu ziehen. Azzam kam, um Geld aufzutreiben, aber auch, um Soldaten anzuwerben. Er zog Osama in seinen Bann.
Prediger wie Azzam überzeugten viele Saudis davon, dass der Kommunismus eine Gefahr für ihre Region und eine Bedrohung für ihre Religion darstelle. Zuzulassen, dass die Sowjets in Afghanistan blieben, hieß, dass bald auch Pakistan fallen würde, und dann der Iran, der Irak und Saudi-Arabien. Offenbar gab es nicht nur geopolitische Dominosteine, sondern auch religiöse.
Damals wurde Osama gerade vom saudischen Geheimdienst auf Herz und Nieren geprüft. Seine Rekrutierung erfolgte nach bewährtem Muster. Erst wurde er um kleine Gefälligkeiten gebeten, dann trug man etwas anspruchsvollere Bitten an ihn heran. Als er den Anliegen wunschgemäß nachgekommen war, übertrug man ihm nach und nach mehr Verantwortung und schließlich auch wichtigere Aufgaben wie die Pro-forma-Beschäftigung im Ausland angeworbener Radikaler. Bald wurden über die Büros der Bin Laden Group in Kairo Algerier, Libyer, Marokkaner und Jemeniten nach Saudi-Arabien eingeschleust und von dort nach Afghanistan verbracht.
Osama war selbst Mitglied der Muslimbruderschaft und kam vermutlich in dieser Zeit mit Ägyptern in Berührung, die der ägyptischen Mutterorganisation angehörten. Prinz Turki al-Faisal erkannte in Osama einen Mann, der von Nutzen sein könnte.
Osama bin Laden, der mittelmäßige Sohn eines saudischen Millionärs, hatte endlich ein Gebiet gefunden, auf dem er glänzen konnte. Und sein Stern hatte gerade erst zu steigen begonnen.
Wie die USA glaubte auch Saudi-Arabien, dass es das Ziel der Russen war, Afghanistan zu erobern und die Länder am Persischen Golf zu destabilisieren. Es gab Öl in dieser Region, doch davon hatten die Russen
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