Codewort Geronimo - der Augenzeugenbericht zum Einsatz der Navy-SEALs gegen Osama bin Laden
unangenehm – ähnlich wie Fruchtkaugummi. Einer der Bombenspezialisten war schon nah genug herangekommen, um eine Pfütze bernsteinfarbener Flüssigkeit an den Straßenrand schwappen zu sehen. Er wusste sofort, was das war, und konnte seine Partnerin noch mit einer Handbewegung warnen, zurückzubleiben. Da klang es ihm schon in den Ohren und alles verschwamm vor seinen Augen. Die Sonne blendete plötzlich entsetzlich, weil sich seine Pupillen unkontrolliert erweitert hatten. Die an der Kurve platzierte Artilleriegranate enthielt keine hochexplosiven Stoffe, sondern ein tödliches Nervengas namens Sarin. Und dem waren beide Techniker ausgesetzt.
Der Bombenfachmann wollte einen Warnruf ausstoßen, konnte aber nur noch hilflos zurückstolpern und stürzte. Seine Partnerin packte ihn unter den Armen und zog ihn zum Humvee zurück. Sie legte ihn ab und suchte in den Cargotaschen ihrer Hose nach dem Autoinjektor mit Atropin. Das war eine Spritze mit einem federbasierten Mechanismus, die Valium, Atropin und Obidoxim enthielt – ihre einzige Hoffnung, ihn zu retten. Er verdrehte wild die Augen. Seine Pupillen waren erweitert und schwarz, seine Hände begannen zu zittern und zu krampfen, während die Muskeln in seinem Körper versagten. Die Technikerin drückte ihm den Autoinjektor gegen das Bein und injizierte sich dann selbst das Gegenmittel in den Oberschenkel. Sie warnte die Infanteristen, sich von ihnen fernzuhalten. Sie waren jetzt beide kontaminiert. Dann wies sie den Lieutenant an, die Patrouille wegzuführen, gegen den Wind, und ans Bataillon zu funken, dass sie mit Nervengas in Berührung gekommen seien.
Mit Glück – richtig viel Glück – würden sie alle überleben.
Dieser Vorfall stammt nicht aus einem Hollywood-Thriller. Er ereignete sich am 16. Mai 2003 in der Gegend von al Baya im Westen Bagdads. Die auf der Zufahrtsstraße zum Flughafen entdeckte 155-mm-Granate enthielt circa vier Liter des Nervengifts GB oder Sarin – genug, um 10.000 Menschen zu töten.
Die meteorologischen Voraussetzungen waren ideal. Der Behälter mit dem Nervengas war windwärts platziert worden und der Standort so gewählt, dass sich die maximale Wirkung entfalten konnte. Wäre die Granate wie geplant explodiert, hätte sich eine unsichtbare todbringende Wolke über einem Dutzend Häuserblocks in der Stadt ausgebreitet. 10.000 irakische Zivilisten, die in Flughafennähe lebten, hätten einen schnellen Tod gefunden. Und auch die 3.000 Koalitionssoldaten, die im nahen Camp Victory stationiert waren. Mit diesem Anschlag, bei dem eine hochmoderne Nervengasartilleriegranate eingesetzt wurde, wollte Osama bin Laden den amerikanischen Streitkräften im Irak eine demütigende Niederlage zufügen.
Dass die Bombe nicht detonierte, war einer Fehlfunktion der verwendeten Billiguhr zu verdanken.
Obwohl der Anschlag für kurze Zeit auf dem Radar der Medien auftauchte, wurde die Story schnell weggedrückt. Die Presse wollte nichts wissen von Massenvernichtungswaffen im Irak: Man hatte sich – und den größten Teil der amerikanischen Öffentlichkeit – bereits darauf eingeschossen, dass Saddam Hussein keine chemischen Waffen besaß. Und da Saddam keine hatte, konnte auch Osama bin Laden keine haben.
Auf diese Theorie bauten sie. Dabei war sie grundfalsch.
Es ist eine mehr als ernüchternde Tatsache, dass im Irak tausendfach chemische Waffen entdeckt wurden. Schlimmer noch, chemische Waffen aus irakischen Beständen wurden durch den Iran und Pakistan nach Afghanistan gebracht. Diese Waffen wurden von al-Qaida dutzendfach gegen die Koalition und die NATO-Streitkräfte eingesetzt.
Was ist so bedeutsam an einer Handvoll übersehener chemischer Munition? Um sich einen Begriff von diesen Waffen zu machen: Wenn zwei Nervengasartilleriegranaten in einem voll besetzten Footballstadion, sagen wir, bei einem Heimspiel in Nebraska, gezündet würden, könnten mehr Menschen getötet werden als US-Amerikaner im gesamten Vietnamkrieg. Eine solche Granate würde problemlos in eine große Reise- oder Sporttasche passen. Auch die Anlieferung wäre nicht so furchtbar schwierig. Getarnt als gewerbliche Lieferung und mit einem Handy verbunden, könnte eine improvisierte Chemiebombe von Federal Express am Zielort zugestellt werden. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis improvisierte Chemiewaffen eingesetzt werden, um auf dem Staatsgebiet der USA einen Anschlag mit unzähligen Opfern durchzuführen. Verbrecher benötigen keinen Zugang zu komplexer
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