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Codewort Rothenburg

Codewort Rothenburg

Titel: Codewort Rothenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Béla Bolten
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Sicherheitspolizei und SD - werden marodierend durch die Städte und Dörfer ziehen. Sie werden wahllos Menschen abschlachten. Vor allem Juden. Frauen, Kinder.«
    Luise starrte sie an. Wovon sprach diese Frau? Polizisten sollten Mörder sein? Ihr Axel ein Mörder? Niemals!
    Erna Neeb sah die Verzweiflung im Gesicht ihrer Freundin.
    »Ich weiß, dass es schwer zu akzeptieren ist, Luise. Aber es sind Tatsachen. Der Mord an hunderttausend Unschuldigen ist nicht zu leugnen. Und die Täter ...«
    Sie beendete den Satz nicht, denn Luise schrie laut auf.
    »Nein!«
    Nichts weiter, nur dieses eine Wort. Dabei schüttelte sie den Kopf. Schweigend. Sie fühlte nichts mehr. Sie konnte später nicht einmal sagen, was sie dachte. Sie bewegte nur den Kopf von links nach rechts. Langsam. Stetig. Gustav Neeb bedeutete seiner Frau mit einer Geste zu schweigen. Dann sprach er selbst, so ruhig und gelassen es ihm in diesem Moment möglich war:
    »Du bist noch nicht lange bei uns, Luise. Aber Libertas sammelt seit Kriegsbeginn Material über das, was im deutschen Namen passiert. Wir haben Fotos, wir haben Filme. Du solltest dir das einmal ansehen.«
    Seine Frau fiel ihm ins Wort.
    »Du bist verrückt, Gustav. Hast du vergessen, dass Luise schwanger ist? Weißt du, was ein solcher Schock auslösen kann?«
    Luise fasste sich. Ihr Entsetzen schlug langsam in Wut um. Sie blickte auf und spannte den Rücken.
    »Ihr redet so, als ließe sich dieses Morden nicht verhindern. Das ist doch nicht eure Art. Hier müssen wir doch etwas tun. Diesen Befehl zum Beispiel, den kann man doch veröffentlichen. Wir könnten ihn vervielfältigen, an Laternenmasten kleben, in Briefkästen verteilen.«
    Luise blickte in die Runde und sah in milde lächelnde Gesichter. Sie amüsierten sich über ihre Naivität. Was wusste sie von den Schwierigkeiten, an Papier zu kommen? Von Matrizen gar nicht zu reden. Und sie kannte die stets vorhandene Angst nicht, wenn man am Apparat stand, die Kurbel drehte und Abzüge herstellte.
    Harro beendete das Schweigen in seiner sachlichen Art.
    »Das würde nichts bewirken, Luise. Das deutsche Volk ist in der überwältigenden Mehrheit noch nicht reif für die Wahrheit. Wir müssen es darauf vorbereiten, das ja. Aber nicht, indem wir diesen Befehl veröffentlichen. Niemand würde uns glauben, und die Propaganda hätte es leicht, ihn als Lüge abzutun.«
    »Genau«, warf Libertas ein und imitierte Goebbels gekünstelte, hohe Fistelstimme mit rheinischem Einschlag: »Alles nur ein Lügengewebe der jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung!«
    Mit normaler Stimme fuhr sie fort:
    »Unsere Aufgabe ist es, diesen schrecklichen Befehl so schnell wie möglich Stalin zuzuspielen, damit er die Genossen warnen kann. Und wir müssen die Engländer in Kenntnis setzen. Die Welt da draußen muss es wissen.«
    Alle nickten stumm. Das Schweigen kam Luise wie ein einziger, lauter Schrei vor.
    Als der Aufbruch nahte, fragte Werner: »Was macht der Junge?«
    »Er ist in Sicherheit, für den Moment jedenfalls«, antwortete Erna Neeb. »Aber er muss gehen. Alles Notwendige dazu ist veranlasst.«
    Als Luise sich von Gustav Neeb verabschiedete, sah sie ihm fest in die Augen:
    »Ich möchte die Fotos und die Filme sehen, von denen ihr gesprochen habt.«
    »Bist du sicher?«
    Luise schluckte und nickte stumm. Libertas, die neben Neeb stand und sich ihren Hut aufsetzte, sagte:
    »Gut. Dienstagabend um sieben. Du solltest vorher besser nichts essen.«

Neunzehn

    Daut kochte vor Wut. Warum gab es sonntags nichts Anständiges mehr zu essen? Luise hatte nichts vorbereitet. Das war doch das Mindeste, was er erwarten konnte. Er hatte keine Lust auf Pellkartoffeln mit Kräuterquark. Nicht schon wieder. Wenn das so weiterging, wäre er bald klapperdürr. Obwohl ... Er sah an sich herunter und erkannte deutlich die Wölbung seines Bauchs. Die Mollen taten ihr Werk.
    Die Kinder spielten in ihrem Zimmer. Er beschloss, seinen Kater mit einem Spaziergang an der frischen Luft zu vertreiben. Er griff nach seinem Hut und nahm den Hausschlüssel aus der alten Suppenterrine, von der vor Jahren die Henkel abgebrochen waren. Den Kindern rief er zu, dass er nur für ein paar Minuten nach draußen ginge. Als Antwort erntete er unverständliches Gemurmel. Als er die Straße betrat, bereute er, keine dickere Jacke angezogen zu haben. Es hatte sich deutlich abgekühlt, obwohl nach wie vor die Sonne schien. Aber vielleicht war sein Frösteln auch nur eine Folge des gestrigen

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