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Codewort Rothenburg

Codewort Rothenburg

Titel: Codewort Rothenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Béla Bolten
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Fall ist geklärt.«
    Rösen hob fragend die Schultern und sah Daut wie ein begossener Pudel an. Daut erzählte in knappen Worten, was er in der Wilhelmstraße erfahren hatte. Dora Zeggs letzter Kunde war auch ihr Mörder.
    »Spricht ja auch einiges dafür, wo er desertiert ist. Auf jeden Fall sind wir raus aus der Sache.«
    Rösens Gesicht lief puterrot an.
    »Aha! Seit wann lässt du dich so abservieren? Da zaubern unsere Oberspione einen desertierten Leutnant aus dem Hut und behaupten, er sei der Täter. Gibt es dafür irgendwelche Beweise?«
    »Wir brauchen keine Beweise mehr. Wir sind raus!«
    Rösen straffte den Körper und sprang auf.
    »Wenn das so ist, können wir ja auch Feierabend machen. Du bist mir sowieso noch eine ausführliche Erzählung schuldig. Wann trifft man schon jemanden, der mit einem leibhaftigen Spion geredet hat. Außerdem habe ich Durst. Kommst du mit?«
    Daut zuckte resigniert mit den Achseln.
    »Aber nur kurz! Und keinen Champagner, verstanden!«
    Er hatte gerade den Hut vom Haken genommen, als Rudat die Tür aufriss.
    »Daut, Sie bleiben hier!«
    Er zuckte die Schultern und signalisierte Rösen, dass er vorgehen sollte.
    »Wenn es nicht bis morgen warten kann, Herr Kriminaldirektor.«
    Rudat drehte sich auf dem Absatz um und rief über die Schulter:
    »Kann es nicht, Daut. Auf keinen Fall.«

Fünfundzwanzig

    Jemand zog den Vorhang auf. Wie ein Blitz blendete sie das Licht, obwohl es draußen bereits dämmerte. Luise presste die Augenlider zusammen und vergrub den Kopf zwischen ihren Händen. Das sanfte Abendlicht spendete keinen Trost. Gleißend kam es ihr vor gegenüber der schwarzen Nacht der Hölle, in die sie in der vergangenen Stunde geschaut hatte. Wie konnten alle nur so schnell zur Tagesordnung übergehen? Libertas baute mit geübten Handgriffen den Projektor ab, Erna werkelte in der Küche und bereitete Essen zu. Luise versuchte, sich auf die vertrauten Geräusche zu konzentrieren, als wären sie der Halt, der sie vor dem Sturz in den Abgrund bewahrte. Sie drückte die Handballen gegen die Augen, als könnte sie damit die Bilder vertreiben, die wie die Figuren eines Schattenspiels vor ihr tanzten. Armselige, zerlumpte Gestalten in zerrissenen Kleidern, mehr tot als lebendig, die sich in endlosen Zügen über staubige Straßen schleppten. Vorbei an ausgebrannten Häusergerippen, aus deren leeren Fensterhöhlen hier und da ein Augenpaar blickte. Angetrieben von gut genährten, lachenden Männern mit Gewehren in der Hand. Immer wieder stockte der Zug, weil einer der zerlumpten Geschöpfe gestürzt war. Zusammengebrochen, weil er zu alt oder schwach war und dem Tempo nicht mehr standhalten konnte. Dann schlug die Stunde der Bewacher. Sie traten in die Menge der Bemitleidenswerten, die sich vor ihnen teilte. Sie zogen die Pistole und richteten sie auf den Gestürzten, dessen Leib kurz zuckte, wenn ihn die Kugel im Kopf traf. Der Schütze blickte regungslos herab, drehte sich um und nahm seine Position am Straßenrand wieder ein. Die Menge trat zusammen, die Gasse schloss sich und verschluckte den Leichnam. Der Bewacher wartete auf den Nächsten, den er erlösen konnte von seiner Qual. Wahrlich, es war eine Erlösung, mehr noch, es war eine Gnade. Denn wer das Ziel dieser Pilgerreise erreichte, auf den wartete der Vorhof der Hölle. Das Ende des Marsches war eine Waldlichtung, ein Feld, ein Steinbruch. Die Szenerien wechselten, die Handlung blieb gleich. Die Bewacher, die noch eben den Gnadenengel gespielt hatten, waren jetzt die Requisiteure des nächsten Aktes. Sie suchten die Männer aus, deren Kraft noch nicht gänzlich verbraucht war, und drückten ihnen einen Spaten in die Hand. Sie begannen zu graben. Schaufelten Gruben, hoben Gräben aus. So lange die Kraft reichte, warfen sie Schaufel um Schaufel Erde aus den Löchern, bis sie zwei oder drei Meter tief waren. Die Männer in Uniform standen am Rand. Sie spähten hinein, riefen Anweisungen. Feixten und rauchten. Sie zeigten in die Löcher. Nahmen über den Daumen Maß. Fachsimpelten darüber, ob es tief genug wäre. Reichten anschließend Flaschen herum und tranken. Ein Fest bahnte sich an. Endlich waren die Gruben fertig, und es konnte losgehen. Einer brüllte als Erster den Befehl, und alle fielen ein: »Ausziehen!« Man hörte es nicht - es waren Stummfilme. Aber man sah, worum es ging. Der Befehl spiegelte sich in den entsetzten Gesichtern der Geschundenen. Man erkannte ihn an ihren aufgerissenen Augen, den Mündern, die

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