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Codewort Rothenburg

Codewort Rothenburg

Titel: Codewort Rothenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Béla Bolten
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sich zu Entgegnungen öffneten.
    »Nein! Das nicht! Tut uns das nicht an! Tötet uns, aber nicht so!«
    Hörte einer der schwarz Uniformierten dieses Rufen und verstand er die Sprache, trat er vor den Mann, die Frau, das Kind. Er hob das Gewehr und schlug zu. Mit dem Gewehrkolben. Einmal. Zweimal. Auch dreimal. Blut spritze aus Nasen, Mündern, Schädeln. Sie ergaben sich. Sie hatten keine Chance. Sie senkten die Köpfe, zogen die Schultern hoch. Sie zogen die Kleidung aus, falteten sie zusammen und legten sie auf Haufen vor ihre Peiniger. Fein sortiert. Ordentlich, wie es sich gehört. Hier die Hosen, da die Hemden, dort die Röcke. Die Blicke der Bewacher änderten sich. Augen fuhren über Leiber. Stierten. Taxierten. Glotzten. Gierig. Die Männer winkten die Nackten herbei. Sie griffen nach Brüsten. Zogen an Haaren. Die Schutzlosen legten Oberarme vor Brüste und Hände vor die Scham. Sie versuchten zu verbergen. Die Uniformierten rissen Arme und Hände zur Seite. Fassten zu. Lachten. Feixten.
    Bald standen die Nackten zitternd am Rande der Grube und wandten den immer noch johlenden, pfeifenden schwarzen Männern den Rücken zu. Plötzlich Stille. Die Armseligen fielen in sich zusammen, als habe ein Puppenspieler die Fäden gelöst. Luise verstand nicht, sah nur die für einen Moment wie vom Wahnsinn geschüttelt zuckenden Körper, die im nächsten Augenblick leblos zu Boden glitten. Erst später bemerkte sie den schlanken Mann am oberen Ende der Grube. Er schwenkte sein ratterndes und zitterndes Maschinengewehr langsam von links nach rechts und zurück. Nicht alle Getroffenen fielen in die Grube, manche blieben am Rand liegen, die Glieder seltsam verdreht, die Münder im letzten Schmerzensschrei aufgerissen. Ein Offizier schritt an ihnen vorbei. Mit einem kräftigen Stiefeltritt schob er die Leiber hinab und blickte in das Grab. Zuckte da noch ein Körper? Hörte er ein Röcheln, ein Stöhnen? Er nahm die Pistole und schoss gezielt. Löschte das letzte Leben aus. Sie hörte den Schuss nicht, und doch hielt sich Luise die Ohren zu. Am Ende des Grabens blieb der Mann stehen. Er schaute noch einmal hinunter in das Grauen, ehe er sein Gesicht in Richtung Kamera drehte. Luise sah seinen Blick, und was sie sah, ließ sie frieren. Der Mann strahlte vor Zufriedenheit. Er hatte seine Aufgabe erledigt, die Arbeit konnte weitergehen. Er winkte, und die nächste Reihe nackter Elendsgestalten wurde nach vorne geschoben. Noch immer versuchten Einzelne, mit den Händen Scham oder Brüste zu bedecken, das letzte bisschen Würde wenigstens im Tod zu retten. Der Offizier nickte dem Mann am Maschinengewehr zu. Die Waffe begann zu zucken. Der Schütze schwenkte sie erneut von links nach rechts und zurück. Langsam wie zuvor. Wieder begutachtete der Offizier das Werk, legte letzte Hand an, wo das MG sein todbringendes Geschäft noch nicht erledigt hatte. Wieder dieser zufriedene Blick. Und die nächste Reihe. Und die nächste und die nächste und die nächste. Luise zählte nicht. Wie viele Männer, Frauen und Kinder waren in diesen auf Zelluloid gebannten Minuten getötet worden? Hunderte? Bestimmt! Luise achtete nicht mehr auf die Opfer. Sie hatte nur noch Augen für die Männer mit den Pistolen und Gewehren. Die Kerle in den Uniformen. Die gleiche Uniform hatte Axel daheim im Schrank. Schwarz wie die Nacht war das feine Tuch. Zusammengenäht von polnischen, ungarischen, rumänischen Frauenhänden in der Kleiderfabrik von Hugo Boss in Metzingen, damit es die Mörder ihrer Männer, Mütter, Schwestern und Kinder am Tage ihres Todes tragen konnten.
    Erna stellte eine Kaffeekanne auf den Tisch.
    »Komm, Luise, trink etwas.«
    Wie konnte sie in diesem Moment so etwas sagen. Luise nahm die Hände vom Gesicht, und endlich, endlich weinte sie. Sie heulte, schluchzte. Ihr Körper bebte, als bräche er unter einer gewaltigen Last zusammenbrechen. Ihr Leben könnte nie mehr sein wie zuvor.

Sechsundzwanzig

    Er konnte sich nicht erinnern, wann er sich zuletzt so elend gefühlt hatte. Daut presste den rechten Mittelfinger abwechselnd gegen die Schläfen und hoffte auf ein wenig Linderung. Sein Kopf schien zu zerspringen, und in seinem Magen tobte ein Kampf, dessen Ausgang er sich nicht vorzustellen wagte. Die Schreibmaschine kam ihm vor wie ein Fabelwesen, die Tasten wie Kraken, die ihn greifen und zwischen die Walze ziehen wollten. Seit einer Stunde versuchte er, einen halbwegs schlüssigen und sinnvollen Abschlussbericht zu Papier zu

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