Codex Alera 06: Der erste Fürst
keine direkte Kontrolle, aber sie haben die meisten verwilderten Elementare aus Riva und von den fliehenden Zivilisten weggetrieben. Unsere eigenen Truppen leiden nun mindestens ebenso sehr unter ihnen wie die Legionen.«
Die Vordkönigin riss die Augen auf und wirbelte herum, um Isana anzustarren.
»Ich habe auch gehofft«, sagte Isana milde und faltete die Hände vor sich, »deine Aufmerksamkeit vom Kampf abzulenken. Ich dachte, es würde vielleicht das Zusammenwirken deiner Geschöpfe schwächen, wenn du sie nicht ständig überwachst.«
Die Augen der Vordkönigin flammten für einen Augenblick auf und funkelten vor seltsamen, strahlend grünen Lichtpünktchen. Dann wandte sie sich ruckartig ab und kehrte an die Stelle zurück, von der aus sie vorhin die Schlacht beobachtet hatte. »Begib dich dort hinaus. Nimm meine Singulares mit. Finde und vernichte jeden Hohen Fürsten und jede Hohe Fürstin, die du von den anderen trennen kannst. Ich werde dafür sorgen, dass ihre Aufmerksamkeit von etwas anderem abgelenkt wird.«
Invidia hob das Kinn. »Es wäre besser, unsere Verluste hinzunehmen und einen Plan für die nächste …«
Die Königin fuhr mit wutverzerrtem Gesicht herum und kreischte mit einer Stimme, die wie reißendes Metall klang: » FINDE SIE !«
Die schiere Lautstärke des Schreis traf Isana wie eine Faust, und sie stolperte rückwärts gegen die Wand. Sie ließ sich für einen Augenblick dagegensinken, während ihre Ohren schrillten, und spürte etwas Heißes auf ihre Oberlippe sickern; ihre Nase hatte zu bluten begonnen.
In den betäubten Sekunden der Stille danach ertappte sie sich dabei, wie sie matt blinzelte und den reglosen Araris, sein schlaffes, vernarbtes Gesicht und seine offenen, aufmerksamen Augen anstarrte …
Isana war wie gelähmt.
Araris sah ihr durch einen trüben halben Zoll Kroatsch einen Moment lang in die Augen. Dann blickte er kurz nach unten und wieder hinauf zu ihr. Isana schaute nach unten.
Sie hatte bisher noch nicht bemerkt, dass Araris mit einer Hand hinter dem Rücken dastand – wo er, wie ihr plötzlich klar wurde, den massiven Stahlgriff des Dolchs umklammert hielt, der unter seinem breiten Gürtel versteckt war. Stahl, der vielleicht seinen Verstand gegen Betäubung, Schmerz und die Verwirrung durch jegliches Gift in der fremdartigen Substanz abschirmte, genauso, wie er seine gefühlsmäßige Anwesenheit völlig vor Isanas eigenen Sinnen verborgen hatte – und wahrscheinlich auch vor denen der Vordkönigin und Invidia Aquitanias.
Araris Valerian, der womöglich beste Schwertkämpfer seiner Generation, war noch nicht außer Gefecht gesetzt.
Er sah ihr noch einen Atemzug lang in die Augen, zwinkerte ihr einmal zu und schloss die Lider.
Isana streckte die Wirbelsäule langsam und achtete darauf, ihre Gefühle und ihren Gesichtsausdruck unter Kontrolle zu halten, als sie sich umdrehte, um Invidia und die Vordkönigin anzusehen.
Invidia lächelte die Königin an; unter ihrer eisigen Maske hielten sich Entsetzen und Schadenfreude die Waage. Dann neigte sie den Kopf und rauschte aus dem Raum.
Die Vordkönigin sagte zu Isana: »Das wird nur noch mehr Schmerz verursachen.« Dann hob sie das Gesicht wieder, und Wände und Decke des Raums begannen erneut zu schimmern. »Letzten Endes wird das nichts ändern. Ich werde Octavian töten. Ich werde euch alle töten.«
In dem Schweigen, das darauf folgte, unterdrückte Isana eine Aufwallung von Zorn. Wie konnte sie es wagen? Wie konnte diese Kreatur es wagen, ihren Sohn zu bedrohen?
Nein , dachte Isana grimmig bei sich. Nein, das wirst du nicht.
20
Riva brannte und erhellte die mondlose Nacht.
»Es gibt immer ein Feuer«, sagte Amara in dumpfem Ton. »Warum gibt es immer ein Feuer?«
»Feuer ist etwas Lebendiges«, antwortete Ritter Ehren. Er starrte wie Amara aus der Ebene nördlich von Riva zur Stadt hinauf. Ein Strom von Flüchtlingen stolperte wie betäubt an ihnen vorbei, geführt von den Einheiten der Civeslegion von Riva und von Legionares flankiert. »Wenn man es nicht beherrscht, sucht es nach Nahrung, frisst und wächst. Es ist in jedem Haus der Stadt, und mehr als ein Augenblick der Unaufmerksamkeit ist nicht nötig, um es zu entfesseln.« Er hob die Schultern. »Allerdings gehe ich davon aus, dass auch all die verwilderten Elementare etwas damit zu tun haben.«
Eine Windmähne kam aus der Nacht hervorgeschossen, stieß einen zischenden Schrei aus und stürzte sich auf die beiden Kursoren, die am
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