Codex Alera 06: Der erste Fürst
ist ein Signalfeuer.«
Die Königin legte mit zusammengekniffenen Augen den Kopf schief, und ein stählerner Balestrenbolzen traf sie in die Rippen, unmittelbar unterhalb ihres linken Arms. Er durchschlug ihre blasse, scheinbar so weiche Haut nicht, aber die schiere Wucht des Bolzens riss sie von den Füßen und ließ sie stürzen. Sie stand fast sofort wieder aufrecht. Dreißig Schritt entfernt und in Dunkelheit und Nebel so gut wie unsichtbar ließ Fidelias sein Balestrum fallen – und nahm eine zweite, schon geladene Waffe der gleichen Art vom Rücken, hob sie an die Schulter, um zu schießen, und rief: »Los!«
Windströme stiegen heulend auf, als die Ritter Pisces, dreißig an der Zahl, an Fidelias vorbeigesaust kamen; manche glitten nur wenige Zoll oberhalb seines Kopfes hinweg. Eine massive Mauer aus Wind zog vor ihnen her, prallte gegen die Vordkönigin und trieb sie zurück und von Tavi weg wie ein Blatt, das von einer Windböe mitgerissen wurde.
Sie sah sie einen Moment lang an, unbeeindruckt und ohne Angst. Ihr Lächeln ließ nicht nach.
Dann stieß sie abermals ein blechernes, höhnisches Lachen aus und sprang davon, nach Nordosten. Sie warf sich in die Luft, sammelte einen eigenen Windstrom an, der jedes Zelt im Umkreis von fünfzig Schritt aus der Erde riss, verbarg sich hinter einem Schleier und verschwand dann im heulenden Tosen eines Wirbelsturms.
Fidelias verfolgte die Bewegung mit dem zweiten Balestrum, schoss aber nicht. Danach kam er auf Tavi zugerannt, während die Ritter Pisces die Verfolgung aufnahmen – aber die Männer wagten sich nicht weit vor, dann hielten sie auch schon an und fächerten sich über dem Lager zu einer Verteidigungsformation auf. Tavi sackte erleichtert zusammen. Wenn sie ihr dort hinaus gefolgt wären, hätte sie sie sicher in Fetzen gerissen.
»Hoheit«, keuchte Fidelias, als er Tavi erreichte. Er legte die Canimwaffe ab und begann, Tavis Verletzungen in Augenschein zu nehmen. »Oh. Oh, verfluchte Krähen , Mann.«
»Kitai«, krächzte Tavi. »Crassus. Da hinter mir. Dorotea und Maximus. Unter dem Zelt. Foss ist tot. Ich konnte sie nicht aufhalten.«
»Verfluchte Krähen, halt still «, knurrte Fidelias. »Bleib liegen. Bleib liegen, Majestät, du blutest. Bleib liegen .«
»Gift«, murmelte Tavi. »Gift. Such den Weg ab, den sie genommen hat. Ich glaube, wir sind an den Wassertanks vorbeigekommen. Sie hätte etwas hineinfallen lassen können.«
»Sei still«, blaffte Fidelias. »Oh, große Elementare.«
Tavi spürte, wie das Metallwirken ihm entglitt. Eine Sekunde später überfiel ihn die Qual, die seine Wunden ihm verursachten, so bösartig wie ein tollwütiger Gargant.
Und dann spürte er nichts mehr.
43
Amara kam sich ziemlich unbehaglich vor, dass sie Bernards altes Zimmer auf dem Bernardhof-Isanahof-Frederichof nutzten, aber der Ältere Frederic hatte darauf bestanden, es Graf und Gräfin Calderon zu überlassen. Sie hatte das Zimmer nur einmal gesehen, und auch das nur kurz, als Bernard ihr in den hektischen Stunden im Vorfeld der Zweiten Schlacht von Calderon ein Paar Schuhe geholt hatte, das seiner verstorbenen Frau gehört hatte.
Ihr Mann hatte einen beträchtlichen Teil seines Lebens in diesem Zimmer verbracht. Es war schwierig, sich in Anbetracht dieser Tatsache nicht beklommen zu fühlen. Es erinnerte sie daran, wie viel von seinem Leben sie nicht hatte teilen können. Er war nicht mehr lange auf dem Wehrhof geblieben, nachdem sie in sein Leben getreten war.
Sie ging langsam in dem Zimmer umher. Es schien groß genug für eine kleine Familie, wenn es ihren Mitgliedern nichts ausmachte, nahe beieinander zu sein. Allerdings war es nicht annähernd so geräumig wie die Gemächer, die sie in Kaserna miteinander teilten. Sie versuchte sich den großen Kamin an der Wand vorzustellen, der die einzige Lichtquelle an einem ruhigen Winterabend bildete, Kinder, die davor auf kleinen Matratzen schliefen, die Wangen rosig vor …
Amara schüttelte den Kopf, um den Gedanken zu verscheuchen. Sie würde ihm nie Kinder schenken, ganz gleich, wie sehr sie es sich wünschen oder ausmalen mochte. Und die ganze Überlegung war ohnehin lächerlich. Es gab wichtigere Dinge, an die sie jetzt denken sollte.
Die Vord waren vertrieben worden, und sie waren in den Nachmittagsstunden nicht wieder erschienen, aber sie würden sicher nicht lange auf sich warten lassen. Die Evakuierung aller Menschen aus der östlichen Talhälfte hinter das letzte Bollwerk in
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