Codex Alera 06: Der erste Fürst
lag dort auf einem Wehrhof ein Gelass, das als kühler Lagerraum genutzt wurde. Das Innere der Scheune war schattig, aber ein beständiges grünes Leuchten drang aus zwei Löchern im Boden hervor.
Die Kohorte aus der Legion ehemaliger Sklaven war nicht so gut zurechtgekommen wie die kampferprobten Schlachtkrähen. Durch irgendeine Wendung des Kriegsglücks war es ihnen nicht möglich gewesen, eine Verteidigungsformation zu bilden, als die Vord sich auf sie gestürzt hatten. Die Hälfte von ihnen war tot oder in dem einen oder anderen Winkel des Wehrhofs isoliert, verzweifelte Kreise aus einem halben Dutzend Männern, die gegen einen erbarmungslosen Feind kämpften. Die andere Hälfte hatte zur Abwehr eine Vierecksformation bilden können, die aber ausgefranst war – die Fangschrecken rissen sie immer weiter auseinander.
»Meister Marok!«, rief Fidelias. Er wies auf die sich rasch auflösende Formation der Freien Aleranischen Legion. Da die Vord die Schwäche spürten, griffen sie nur umso brutaler und in noch größerer Zahl an. »Wärst du so freundlich?«
Marok trat mit vier der anderen Canim vor, die Vordchitinumhänge statt Mänteln aus Menschenleder trugen. Er knurrte etwas in einer Sprache, die Fidelias nicht verstand, und die fünf Ritualisten zogen gleichzeitig in einer einzigen Bewegung ihre Dolche. Mit einer ähnlichen Geste brachten sie sich einen langen Schnitt am Unterarm bei und besudelten den glänzenden Stahl der Dolche mit Blut. Sie warfen alle die Arme hoch und verteilten Blutströpfchen am Himmel, wo sie flimmerten und verschwanden – bis die Canim dann mit einem vereinten Heulen die Arme sinken ließen und der neblige Himmel plötzlich vor dunklen Wolken überquoll, die sich zeitgleich mit den Armen der Ritualisten herabsenkten.
Etwas, das einer Gewitterwolke ähnelte, hüllte plötzlich die arg bedrängte Kohorte der Freien Aleranischen ein, eine dunkelgraue Masse. Fidelias glaubte sehen zu können, wie Dinge sich darin wanden, geschmeidige Gestalten und zuckende Tentakel.
Die Vord in der Wolke begannen verzweifelt zu kreischen und zu heulen.
Marok musterte die Wolke einen Moment lang aufmerksam, ließ dann seinen blutigen Arm wieder vorschnellen, spritzte Blutströpfchen in die Dunkelheit der Wolke und rief auf Canisch: »Es ist genug! Die Dämonen sind nicht für euch!«
Die Wolke kam zur Ruhe. Der frische Frühlingswind begann sie langsam aufzulösen, und als sie einen Moment später ganz davongeweht war, standen die Legionares der Freien Aleraner mit verwirrten, fassungslosen Mienen ganz allein da, während ihre Brustkörbe nach Atem rangen.
Es gab keine Spur mehr von den Vord, die sie eben noch angegriffen hatten.
Marok wandte sich Fidelias zu und nahm die Körperhaltung eines Cane an, der auf die Antwort auf eine Frage wartet.
»Eindrucksvoll«, sagte Fidelias.
»Säurewolken sind etwas für Dilettanten«, antwortete Marok. Er warf einen Blick über die Schulter auf die anderen Ritualisten, die ihren ständigen Sprechgesang fortsetzten und sich gelegentlich selbst zur Ader ließen. Keiner von ihnen sah ihn an. Marok knurrte mit unverkennbarer Befriedigung.
Die vier Ritter, die der Ersten Kohorte zugeordnet waren, lösten sich von ihrer Einheit und überquerten den Hof, um zum ersten Geviert der Schlachtkrähen zu stoßen. Zenturio Schultus, der einen benommen wirkenden jungen Tribun stützte, dessen halbes Gesicht von einem Blutschleier bedeckt war, sah sie kommen und reihte sie sofort in die Linien ein. Dann postierte er die vier Männer jeweils an einer Ecke des Quadrats, sorgte dafür, dass dieses sich zu einer auf das zweite Geviert ausgerichteten Raute umformierte und begann einen stetigen Marsch vorwärts, wobei er die vernichtende Kraft der Ritter einsetzte, um einen Weg durch die Vord freizuschneiden. Binnen eines Augenblicks hatten sich die beiden Abteilungen der Schlachtkrähen wieder vereinigt und konzentrierten ihre Anstrengungen nun darauf, als unbarmherziger Block aus Stahl und Schwertern vorzurücken, der sich Schritt für blutigen Schritt einen Weg in die Scheune freihackte und -schnitt.
Ein Kreischen ertönte, und der Druck erhöhte sich schlagartig, als Dutzende von Kriegern sich von ganzem Herzen entschlossen und wild um sich schlagend auf die Schlachtkrähen stürzten, um die Eindringlinge niederzumähen. Für einen Moment wurden die Soldaten langsamer. Aber dann nahm plötzlich eine Erscheinung aus der Dunkelheit der Scheune heraus Gestalt an, ein
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