Codex Alera 06: Der erste Fürst
ganz Alera gewesen war.
Aber ungeachtet aller Unterschiede in der individuellen Reaktion sah jeder Anwesende hin.
Alle lauschten.
»Ich empfinde euch gegenüber keinen persönlichen Hass oder Feindseligkeit. Ich habe nicht den Wunsch, irgendeinem Wesen Schmerz oder Leid zuzufügen. Was ich tue, tue ich, um meine Kinder zu schützen und es ihnen zu ermöglichen zu gedeihen. Diese Welt ist ihr Erbe. Und sie werden sie bekommen.«
Das Bild bewegte sich und hob bewusst die schlanken, bleichen Hände. Es schlug die Kapuze langsam zurück, um das exotisch schöne Gesicht einer jungen Frau zu enthüllen – einer, die eigentlich fast wie Kitai aussah. Sie hatte dieselben hohen Wangenknochen, dasselbe zarte, lange weiße Haar, dieselben scharf und klar geschnittenen Züge, die von vollen Lippen und großen, schräg stehenden Augen weicher gemacht wurden. Aber während Kitais Augen leuchtend grün waren, waren die der Vordkönigin schwarz, Facettenaugen wie die eines Insekts, die das Licht in einem hypnotisierenden, fremdartig glitzernden Farbenspiel widerspiegelten.
»Aber ich bin willens, euch eine Chance zu geben, Aleraner. Es muss kein Krieg zwischen unseren Völkern herrschen. Ich werde eure Städte einnehmen. Aber für die unter euch, die weise genug sind, sich dem Strom der Geschichte zu beugen, werde ich sichere Orte schaffen, an denen es euch gestattet sein wird, euch selbst zu verwalten, eure Familien zu ernähren und euer Leben bis an sein natürliches Ende völlig unabhängig zu führen, bis auf eines: Es wird euch nicht erlaubt sein, Kinder zu bekommen. Das steht in meiner Macht. Der Krieg kann enden. Das Kämpfen kann enden. Der Tod, der Hunger und das Leid können enden. Ich werde das Amaranth-Tal öffnen, damit es wieder von eurem Volk besiedelt werden kann. Solange ihr dort seid, werdet ihr unter meinem Schutz stehen. Kein Außenstehender wird euch etwas zuleide tun dürfen. Die ganze Macht der Vord wird euch beschirmen. Meine Kraft wird es euch gestatten, ein langes Leben zu leben, frei von jeder Seuche und Krankheit, die eure Art kennt. Ich bitte euch, Vernunft anzunehmen, Aleraner. Ich biete euch Frieden. Ich biete euch Gesundheit. Ich biete euch Sicherheit. Lasst die Feindschaft zwischen uns enden. Eure Anführer haben euch nicht beschützt. Eure Legionen sind vernichtet. Millionen sind sinnlos ums Leben gekommen. Setzt dem ein Ende. Mein Angebot gilt. Jeder Aleraner, der sich unter meinen Schutz stellen will, muss nur eines tun: Sich unbewaffnet an irgendeinen Ort der Welt, den wir beherrschen, begeben. Schlingt euch eine grüne Stoffbinde um den Arm. Das wird das Zeichen für meine Kinder sein, dass ihr euch den Naturgesetzen gebeugt habt. Ihr werdet ernährt, umsorgt und an Orte, an denen Sicherheit, Freiheit und Frieden herrschen, gebracht werden.«
Nichts als Schweigen.
Verfluchte Krähen , dachte Tavi, das ist brillant.
»Wenn ihr euer irrationales Bedürfnis allerdings nicht hintanstellt, diesen Konflikt fortzusetzen, so lasst ihr mir keine Wahl.« Ihre Hände hoben sich, um die Kapuze wieder hochzuziehen und ihre fremdartige Schönheit zu verschleiern. Ihre Stimme senkte sich zu einem leisen, eintönigen Murmeln: »Dann komme ich euch holen.«
Tavi unterdrückte einen Schauder, aber nur knapp. Max machte sich nicht erst die Mühe, es zu versuchen.
»Sagt das euren Nachbarn. Sagt es euren Freunden. Sagt es allen, die nicht hier waren, um zu sehen, dass die Vord euch Frieden und Schutz anbieten.«
Es herrschte Schweigen. Niemand rührte sich.
Max sagte sehr leise: »Frieden und Schutz. Glaubst du, dass sie das ernst meint?«
»Keine Kinder«, murmelte Tavi zurück. »Ein Würgegriff braucht länger, um zu töten, als ein sauberer Schwertstoß – aber nachher ist man genauso tot.«
»Man spürt es auch nicht, wenn man dann geht«, antwortete Max.
»Wenigstens weiß ich jetzt warum«, sagte Tavi.
»Warum was?«
»Die Vordkönigin hält in der Nähe von Alera Imperia einen Wehrhof voller Aleraner gefangen, wie Tiere in einer Menagerie. Es war ein Experiment, um zu sehen, ob es Aussichten auf Erfolg hat.«
Max sah ihn blinzelnd an. »Woher weißt du davon?«
»Geheimnis der Krone.«
Max verzog das Gesicht. »Wenn alle das hören, in ganz Alera … Tavi, du weißt, dass es Menschen gibt, die so viel Angst haben, dass sie alles tun würden.«
»Ich weiß.«
»Wenn wir auch nur einen Teil der Leute verlieren, weil sie desertieren oder sich ergeben, könnte uns das umbringen. Wir
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