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Codex Alera 06: Der erste Fürst

Codex Alera 06: Der erste Fürst

Titel: Codex Alera 06: Der erste Fürst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jim Butcher
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scheint den Idealen der aleranischen Gesellschaftsordnung zu widersprechen.«
    »Oberflächlich betrachtet ja. Aber es ist nun einmal so, dass manche Aleraner auf ganz konkrete und persönliche Weise weit mächtiger als fast alle anderen sind. Der Versuch, solche Individuen auf irgendeine direkte Art zu einem bestimmten Verhalten zu zwingen, könnte zu einem entsprechend direkten Konflikt führen, bei dem sehr viele Leute zu Schaden kommen würden.«
    Die Königin dachte eine Weile darüber nach. »Also greift man zu indirekten Mitteln, um solche Situationen zu vermeiden. Man legt den Geringeren nahe zu vermeiden, eine direkte Auseinandersetzung mit einem Mächtigeren heraufzubeschwören. Die Mächtigen müssen in Betracht ziehen, dass es eine direkte Auseinandersetzung mit ihresgleichen geben könnte, bevor sie zur Tat schreiten.«
    »Genau«, antwortete Invidia. »Und der sicherste Weg, Konflikte zu entschärfen, besteht in der Herrschaft des Rechts. Die, die zu oft ein Juris Macto dem Recht vorziehen, werden innerhalb der Gesellschaft zu Ausgestoßenen und laufen Gefahr, dass ein anderer Civis die Dinge selbst in die Hand nimmt.«
    Die Königin faltete die Hände auf dem Tisch. »Wir bei den Vord«, sagte sie, »denken selten darüber nach, Konflikte auf indirektem Wege zu lösen.«
    Invidia runzelte die Stirn. »Mir ist bisher gar nicht aufgefallen, dass es bei eurer Art innere Konflikte gibt.«
    Ein zugleich betrübter und verdrossener Ausdruck huschte über die Miene der Königin. »Sie sind selten.« Dann richtete sie sich auf, räusperte sich – ein künstlicher Klang, da sie es, soweit Invidia wusste, sonst niemals tat – und fragte: »Wie war dein Tag?«
    Das war das Signal, das Abendessensritual zu beginnen. Invidia fühlte sich damit trotz der ständigen Wiederholung immer noch nicht wohler als zu Beginn. Sie antwortete höflich und führte einige Augenblicke lang ein inhaltsleeres, liebenswürdiges Gespräch mit der Königin, während die Wachsspinnen, die Hüter, mit Tellern, Bechern und Besteck auf den Tisch zumarschierten. Die insektengleichen Vord wuselten in ordentlichen Reihen um die Tischbeine, legten Gedecke für die Königin und für Invidia auf …
    … und für jemanden, der anscheinend zur Rechten der Königin sitzen sollte. Der leere Stuhl mit seinem unbenutzten Gedeck war verstörend. Invidia überspielte ihre Sorge, indem sie sich umwandte, um zuzusehen, wie die restlichen Hüter mehrere abgedeckte Platten und eine Flasche Wein aus Ceres auftrugen.
    Invidia öffnete die Flasche und goss Wein ins Glas der Königin, dann in ihr eigenes. Dann sah sie das Glas vor dem leeren Platz an.
    »Schenk ein«, sagte die Königin. »Ich habe einen Gast eingeladen.«
    Invidia tat wie geheißen. Dann begann sie die Servierplatten aufzudecken.
    Auf jeder lag ein vollkommen quadratisches Stück Kroatsch . Jedes unterschied sich ein klein wenig vom anderen. Eines sah aus, als wäre es – wenn auch schlecht – in einem Ofen gebacken worden. Die Ränder waren schwarz und knusprig. Die Oberfläche eines anderen war mit Zucker bestreut. Ein drittes war mit einem gallertartigen Überzug und einem Ring reifer Kirschen geschmückt. Ein viertes war mit etwas bedeckt, das einmal geschmolzener Käse gewesen war – aber er war jetzt dunkelbraun angebrannt.
    Invidia zerschnitt jedes Stück in Viertel und begann dann, der Königin eine einzelne Portion von jeder Platte aufzufüllen. Danach nahm sie sich selbst dasselbe.
    »Und unser Gast«, murmelte die Königin.
    Invidia füllte pflichtergeben den dritten Teller. »Wen bewirten wir denn?«
    »Wir bewirten nicht«, antwortete die Königin. »Wir nehmen als Gruppe Nahrung zu uns.«
    Invidia neigte den Kopf. »Wer soll uns dann Gesellschaft leisten?«
    Die Königin verengte die Insektenaugen, bis nur noch funkelnde schwarze Schlitze zu sehen waren. Sie starrte den riesigen Tisch entlang und sagte: »Da kommt sie.«
    Invidia wandte den Kopf, um zu beobachten, wie ihr Gast die schimmernde grüne Kuppel betrat.
    Es war eine zweite Königin.
    Sie hatte die gleichen Gesichtszüge wie die Königin, ja, sie hätte sogar ihre Zwillingsschwester sein können: eine junge Frau, kaum älter als ein Mädchen, mit langem weißen Haar und denselben funkelnden Augen. Da aber endeten die Ähnlichkeiten. Die jüngere Königin schlich sich mit fremdartiger Anmut an und bemühte sich überhaupt nicht, die Bewegungen eines Menschen nachzuäffen. Sie war vollkommen nackt, und ihre

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