Codex Alera 06: Der erste Fürst
damit an den versammelten Senat insgesamt, »ist zweifelsohne eines der besten Beispiele von Begabung, Befähigung und zupackendem Führungstalent, die die Civitas zu bieten hat. Sein Können und sein persönlicher Mut im Kampf gegen die Vord stehen außer Frage.« Er holte tief Atem und sprach mit Donnerstimme weiter: »Aber diese Tatsachen verleihen niemandem das Privileg, gegen das Gesetz des Reichs zu verstoßen.« Er drehte sich langsam im Kreis, um jeden Einzelnen der vor ihm sitzenden Senatoren anzusehen. »Gebt euch keiner Täuschung hin, verehrte Senatoren. Dem Testament von Gaius Sextus jetzt zuwiderzuhandeln bedeutet, Verrat an den Gesetzen zu begehen, die das Reich seit seiner Gründung geleitet haben – Gesetzen, die es uns erlaubt haben, Jahrhunderte der Unruhe und des Kriegs zu überwinden.«
»Um der Tradition willen«, unterbrach Valerius, »sollten wir also ohne Not das Leben unserer Kämpfer wegwerfen. Ist es etwa das, was du sagst, Senator?«
Theoginus sah Valerius geradewegs an. »Die Hälfte unseres Reichs ist verschwunden, Herr Senator. Unzählige Verluste an Menschenleben sind zu beklagen. Alera Imperia selbst ist gefallen und von Erde und Feuer verschlungen worden. Aber das Wichtigste, was vom Reich noch übrig ist, ist dem Zugriff jedes Feinds entzogen. Es ist in das unantastbare Fundament des Geists und des Herzens eingemeißelt – das Gesetz. Es steckt im guten Stahl dieser Legionen vor den Stadtmauern, die bereit sind, ihr Leben bei der Verteidigung von Alera zu opfern. Es strömt in den Adern der Civitas, die zu den Waffen gerufen worden und bereit sind, sich jedem Feind zu stellen, der auch nur versucht, dem Volk zu schaden.« Er wies mit einer theatralischen Handbewegung nach Westen. »Und es ist dort draußen, in dem lebendigen Andenken an das Haus, das uns seit undenklichen Zeiten führt. Es steckt in Gaius Octavian.«
Völlige Stille hatte sich über das Amphitheater gesenkt. Theoginus wusste, wie man zu einer Menge sprechen musste. Er wusste, wie man sie bei ihren Gefühlen packte – und das ständige Raunen leiser Furcht, das in diesen verzweifelten Monaten ganz Alera durchdrang, hatte sie für genau diese Herangehensweise bereit gemacht.
Theoginus’ Blick schweifte abermals über den versammelten Senat. »Denkt daran, wenn ihr abstimmt. Denkt an die Eide, die ihr geschworen habt. Denkt an die einfache Wahrheit, dass Sextus’ legitimer Erbe auf dem Weg hierher ist, um unsere Lande und unser Volk zu verteidigen. Wenn ihr vom Gesetz abweicht, von dem, was das Reich immer war, dann wird Alera nicht länger bestehen. Ob wir nun siegen oder fallen, Alera wird nicht mehr da sein. Und wir werden es ermordet haben, mit leisen Worten, lauten Reden und erhobenen Händen. Denkt daran .«
Theoginus bedachte den Senator Callidus mit einem Blick, der den Mann hätte in Flammen aufgehen lassen können. Dann nahm er seinen Sitz wieder ein und verschränkte die Arme.
Valerius starrte seinen Gegner einen endlosen, stummen Augenblick lang an. Dann richtete er den Blick auf den übrigen Senat. Amara konnte geradezu seine Gedanken lesen. Theoginus hatte einen gefährlichen Spielzug zum Einsatz gebracht. Man konnte nie sicher sein, dass eine leidenschaftliche Rede ein Publikum in die richtige Richtung bewegen würde – aber der ceresianische Senator hatte gut gesprochen. Die Kraft seiner Worte hallte noch immer im Raum wider. Jede Widerrede, die Valerius jetzt erhob, würde ihm nichts als zornige Blicke einbringen. Die klügste Vorgehensweise bestand für ihn so gut wie sicher darin, einfach weiterzumachen und auf die Unterstützung zu zählen, die er in den Tagen vor dieser Auseinandersetzung gesammelt hatte. Er hatte vielleicht längst genug getan, um die Waagschalen zu seinen Gunsten zu neigen.
Valerius nickte langsam und erhob die Stimme: »Ich rufe den Senat zur Abstimmung über die Frage der Rechtmäßigkeit der angeblichen Ehe des Gaius Septimus mit einer Freien, einer gewissen Isana aus dem Calderon-Tal, auf. Eine Jastimme bestätigt die Rechtmäßigkeit der Ehe. Eine Neinstimme spricht sie ihr ab.«
Amara ertappte sich dabei, wie sie den Atem anhielt.
»Wer stimmt mit nein?«, fragte Valerius.
Hände begannen sich überall in den Reihen der sitzenden Senatoren zu heben. Amara zählte sie hektisch.
»Wie viele?«, flüsterte Bernard.
»Sie brauchen sechsunddreißig«, antwortete sie und zählte weiter. Zweiunddreißig. Dreiunddreißig. Vierunddreißig.
Valerius fügte
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