Codex Alera 06: Der erste Fürst
seinen Worten in ihr hochzusteigen drohte, hatte aber nur teilweise Erfolg. Sie hielt sich die Hand vor den Mund, zog sich aber dennoch ein paar gereizte Blicke von Zuhörern im Amphitheater zu.
»Heute Abend steht eine Tragödie auf dem Programm«, tadelte Bernard sie leise und beugte sich zu ihr, um ihr die Hand auf den Arm zu legen und sie zurückzuhalten. »Keine Komödie. Beherrsch dich, bevor du das Publikum noch völlig verärgerst.«
Sie unterdrückte ihr Lachen und versetzte ihm einen leichten Fausthieb gegen den Arm, um dann ihre Aufmerksamkeit wieder auf den uralten Senator Ulfius zu richten, der mit zitternder Stimme eine obskure Genealogie auflistete: »… Sohn des Matteus, dessen Titel nicht an seinen ältesten, illegitimen Sohn, Gustus, überging, sondern an seinen jüngeren und ordnungsgemäß in sein Amt eingesetzten Sohn Martinus. So, meine verehrten Mitsenatoren und anwesende Fürsten, wurde ein Präzedenzfall geschaffen.«
Senator Valerius, ein finsterer Mann mittleren Alters von ausgesprochen würdevoller Erscheinung, begann mit langen, eleganten Händen zu applaudieren, und die Geste fand verstreute Nachahmung. »Danke, Senator Ulfius. Wenn es jetzt keine weiteren …«
Einer der etwa siebzig Männer, die am Boden des Amphitheaters saßen, räusperte sich laut und stand auf. Sein Haar war ein Gewirr aus weißen Stacheln, seine Nase rot geädert, weil er zu viel Wein getrunken hatte, und seine Fingerknöchel fast grotesk von wiederholten Prügeleien angeschwollen. Ein Verband an seiner rechten Hand belegte, dass sie nicht allein in seiner Jugend stattgefunden hatten.
Valerius zog das Tuch aus purpurnem Stoff zurecht, das seine Stellung als Senator Callidus bezeichnete, und musterte den anderen Mann. »Senator Theoginus. Was ist?«
»Ich dachte, ich könnte von meinem Recht als Senatsmitglied Gebrauch machen, meine Gedanken auszusprechen«, sagte Theoginus gedehnt, so dass sein schleppender ceresianischer Akzent mit weit übertriebener Betonung zum Tragen kam – ein absichtlicher Kontrapunkt zu Valerius’ klassisch geschulter, durch und durch nördlicher Aussprache. »Natürlich in der Annahme, dass der Senator Callidus diesen ehrenwerten Senat noch immer den Vorschriften entsprechend führt …«
»Jeder vergeudete Augenblick ist ein Augenblick, den wir hätten nutzen können, um uns darauf vorzubereiten, dem Feind gegenüberzutreten«, antwortete Valerius.
»In der Tat«, sagte Theoginus. »Umfasst das auch die Augenblicke, die du mit deiner ganz hervorragenden Maniküre zugebracht hast, Senator? Ich bin sicher, dass der Glanz deiner Fingernägel die Vord schon blenden wird, bevor sie auch nur in unsere Nähe gelangen.«
Ein leises Lachen durchlief, genauso verstreut wie zuvor der Beifall, das Publikum. Amara und Bernard fielen beide mit ein. Die Verbände um Theoginus’ Fingerknöchel machten den Kontrast zu Valerius’ Erscheinungsbild nur umso schroffer. »Ich glaube, ich mag ihn«, murmelte Amara.
»Theoginus?«, antwortete Bernard. »Er ist ein aufgeblasener Esel. Aber heute steht er auf der richtigen Seite.«
Valerius war viel zu kultiviert, um sich irgendeine Reaktion auf das Gelächter anmerken zu lassen. Er wartete ab, bis es verklungen war, und dann noch eine Viertelminute, bevor er antwortete. »Natürlich werden wir uns anhören, was du zu sagen hast, Senator, obwohl ich um der tapferen jungen Männer willen, die sich bereit machen, dem Feind entgegenzutreten, darum bitte, dass du deine Äußerung kurz und knapp hältst.« Er neigte leicht den Kopf, machte eine Handbewegung und ließ sich anmutig nieder.
»Danke, Valerius«, antwortete Theoginus. Er hakte die Daumen in die Falten seiner Gewänder und sorgte so dafür, dass die Verbände an seiner rechten Hand deutlich sichtbar blieben. »Bei allem Respekt vor Senator Ulfius und seinem ungeheuren Wissen über aleranische Geschichte und aleranisches Recht: Sein Argument ist fadenscheinig und hat es verdient, aus diesem Amphitheater hinausgelacht zu werden.«
Ulfius sprang auf und stieß stotternde Laute hervor, während seine kahle, von Altersflecken übersäte Glatze hochrot anlief.
»Na ja, Ulf«, sagte Theoginus und schenkte dem anderen Senator ein breites Hängebackenlächeln. »Ich hatte eigentlich vor, behutsamer vorzugehen, aber Valerius hat ja gesagt, dass wir keine Zeit auf deine Gefühle verschwenden sollten. Und du weißt so gut wie ich, dass Parciar Gustus ein sabbernder Verrückter war, der ein halbes
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