Codex Alera 06: Der erste Fürst
seine Hände den erhobenen hinzu.
» Fünf unddreißig«, zischte Amara.
»Wer stimmt mit ja?«, fragte Valerius.
Hände begannen sich zu heben – und dann ertönte eine Trompete.
Eine Welle besorgten Raunens spülte um Amara herum. Köpfe begannen sich umzudrehen. Zur ersten fernen Trompete kam eine zweite hinzu, dann noch eine und noch eine. Das Raunen wurde zu Gemurmel.
»Was ist das?«, fragte eine Matrone, die hinter Amara saß, ihren Mann. »Das Signal?«
Der alte Herr tätschelte ihr den Arm. »Ich bin mir nicht sicher, meine Liebe.«
Amara wandte sich mit ernstem Blick Bernard zu. Er sah ihr mit ruhiger, aber resignierter Miene in die Augen. Er erkannte die üblichen Trompetensignale der Legion genauso gut, wie sie es tat.
Die Legionen vor den südlichen Stadtmauern von Riva riefen zu den Waffen.
»Sie können nicht hier sein«, sagte Amara, »noch nicht.«
Bernard schenkte ihr ein halbes Lächeln und stand auf. Um sie herum taten andere Cives es ihm gleich und bewegten sich mit unvermittelter, besorgter Zielstrebigkeit auf die Ausgänge des Amphitheaters zu. Die Angelegenheit, über die der Senat abstimmen sollte, war vergessen. »Sie scheinen es sich zur Gewohnheit gemacht zu haben, uns zu überrumpeln. Bereiten wir uns auf das Schlimmste vor und hoffen wir das Beste.«
Sie nahm seine Hand und erhob sich. Sie verließen das Theater gerade, als eine junge Frau durch die Menge auf sie zugeeilt kam und in ihrer Hast mehrfach kräftig angerempelt wurde. Sie war schlank, hatte ein schmales, recht ernstes Gesicht und lange, spinnwebfeine, hellblonde Haare. »Graf Calderon!«, rief Fürstin Veradis. »Graf Calderon!«
Bernard erspähte ihre winkende Hand und watete durch die Menge, durch die er sich dank seiner schieren Masse recht mühelos bewegen konnte. Amara blieb nahe bei ihm und entging in seinem Kielwasser den kleinen Zusammenstößen, die sie sonst vielleicht aus dem Gleichgewicht gebracht hätten.
»Veradis!«, rief Bernard und packte das Mädchen in einer stützenden, beruhigenden Geste bei den Schultern. Sie war eindeutig erschüttert: Ihr Gesicht war blass, ihre Augen weit aufgerissen. »Was ist geschehen?«
»Die Erste Fürstin, Graf«, schluchzte sie. »Da drüben herrscht Chaos, und ich kann Fürst und Fürstin Placida nicht finden, und ich weiß nicht, wem ich noch vertrauen soll.«
Bernard sah sich einen Moment lang um und folgte dann Amaras ausgestrecktem Finger zu einem Durchgang zwischen zwei Gebäuden, die den Menschenstrom, der um sie herumfloss, ein wenig aufstauten. Bernard führte sie an diese vergleichsweise ruhige Stelle und sagte: »Langsam, Veradis. Langsam. Was ist geschehen?«
Das Mädchen gewann mit sichtlicher Mühe die Beherrschung zurück, und Amara fiel wieder ein, dass Veradis eine hochbegabte Wasserwirkerin war. Die Emotionen der verängstigten Menge waren für sie mit Sicherheit eine ununterbrochene Qual. »Deine Schwester, Graf«, sagte sie, und unterdrückte das Zittern in ihrer Stimme. »Deine Schwester ist gefangen genommen worden. Araris auch.«
»Gefangen genommen?«, fragte Amara scharf. »Gefangen von wem?«
Es erklangen weitere Trompetensignale, die immer lauter und zahlreicher wurden.
»Ich weiß es nicht«, sagte Veradis. »Als ich in ihr Zimmer zurückgekommen bin, war die Tür niedergerissen. Es war Blut dort – aber wahrscheinlich nicht so viel, dass irgendjemand hätte sterben können. Und sie waren weg.«
Amara hörte neben anderen Signalen, wie die Trompeten der Legion des Hohen Fürsten von Riva von der Innenstadt her zum Sammeln bliesen. Als Cives von Riva waren Bernard und Amara der Ersten Rivanischen Legion als Verstärkung zugeteilt worden. Bernard schaute auf. Er hatte das Signal auch gehört. »Ich gehe«, sagte er. »Sieh zu, was du herausfinden kannst.«
Amara biss sich auf die Lippen, nickte aber und wandte sich dann wieder an Veradis. »Fürstin, kannst du fliegen?«
»Natürlich.«
Amara drehte sich wieder zu ihrem Mann um, umfasste sein Gesicht mit den Händen und küsste ihn. Er erwiderte den Kuss kurz mit wilder Heftigkeit. Als sie sich voneinander lösten, berührte er eine ihrer Wangen mit dem Handrücken, wandte sich ab und verschwand in der Menge.
Amara nickte Fürstin Veradis zu. »Zeig es mir«, sagte sie.
Sie flogen beide in die Nacht empor, zwei kleine Gestalten zwischen den vielen, die durch den Himmel über Riva huschten, während die Legionstrompeten weiterschmetterten.
11
»Du hast keine Ahnung,
Weitere Kostenlose Bücher