Codex Mosel
fehlte ihm der passende Ausdruck, »hat mein armes, aber verschlagenes Bergvölkchen nicht vorzuweisen.« Baumeister langte in eine der vielen ausgebeulten Taschen seiner ärmellosen Lederweste, zog eine Pfeife mit großem Meerschaumkopf hervor, beäugte sie kurz, steckte sie wieder zurück, um sich für ein kleines gebogenes Exemplar aus einer anderen Tasche zu entscheiden.
»Siggi hat mir das meiste bei der Pressekonferenz übersetzt«, meldete sich nun der glatt rasierte Italiener mit den dunklen Augen unter dichten Augenbrauen zu Wort. »Sie können mich Salvo nennen.«
Die drei schienen Gefallen an ihren Rollen gefunden zu haben. Walde überlegte, welche Romanfigur er sich aussuchen würde. Vermutlich Martin Beck.
Inzwischen war die gesamte Presse abgezogen. Die Techniker schickten sich an, die Exponate ins Labor zurückzubringen, als Kay Scarpetta sich über den Stein beugte.
»Die Haare können unmöglich von einem Schlag herrühren. Siggi, schau mal, das sieht eher so aus, als habe sich Salvo damit die Stirn rasiert.«
Baumeister brach in ein Lachen aus, für das Hemingway jahrzehntelang kubanische Zigarren rauchen und dazu jede Menge Whiskey in sich hineinschütten musste.
Salvatore Montalbano beugte seinen wohlgeformten Kopf mit der braun gebrannten Halbglatze über den Stein. »Da könnte Kay Recht haben, ich selbst bevorzuge zwar eine scharfe Klinge, aber hier«, er deutete mit dem Finger auf eine Kante des Steins, »damit könnte man, wenn man nicht zimperlich ist, ebenfalls seine Haare loswerden.«
So jedenfalls verstand Walde den Mann in dem eng sitzenden schicken Anzug, dessen italienischer Akzent unüberhörbar war.
»Dann wäre das also nicht die Tatwaffe.« Gabi war hinzugekommen.
Walde hatte in dem Lärm ringsum das Klacken von Gabis Absätzen überhört.
»Darf ich vorstellen? Kay Scarpetta, USA, Salvatore Montalbano, Italien, Siggi Baumeister, Eifel. Kollegen, die uns eine Stunde bei der Arbeit begleiten werden.«
»Gabi«, kam ihm seine Kollegin zuvor.
Sah er da ein Aufblitzen in Salvos Augen, als Gabi ihm die Hand drückte?
»Mist, die Kutte ist auch weg.« Gabi äußerte in breitestem amerikanischen Slang ihre Vermutung, dass der Einsiedler noch in der Nähe gewesen sein musste, als sie den Andreas-Tragaltar in seiner Hütte entdeckten.
Der Italiener legte nachdenklich eine Hand ans Kinn und sah Gabi tief in die Augen: »Es ist nicht alles Gold, was glänzt, und die Kutte macht noch keinen Mönch.«
*
»Man gewähre dem Tribun Jodocus und seinen angesehenen Gästen aus den fernen Provinzen des Römischen Reiches Eintritt.« Jo, nun in eine römische Toga gewandet, pochte in der Personenschleuse des Präsidiums derart fest an die dicke Glasscheibe, dass die Beamten dahinter zusammenzuckten, obwohl sie den Kerl in Sandalen und weißem Gewand mit seinem ganzen Tross im Schlepptau hereingelassen hatten.
»Werden Sie erwartet?«, fragte einer der Polizisten.
In diesem Moment kam Walde mit Gabi und den drei Gästen die Treppe herunter.
Walde gab den Beamten an der Pforte zu verstehen, dass sie die Leute ins Innere des Präsidiums lassen sollten. Er musterte seinen Freund vom Scheitel bis zu den Sandalen. »Ich glaube mich zu erinnern, dass du einmal behauptest hast, ihr Stadtführer wärt alle Individualisten, die sich nie und nimmer in eine Toga zwängen lassen würden.«
Jo ging nicht auf Waldes Bemerkung ein. »Wenn du nicht gekommen wärst, lieber Freund Waldus Commissarius, dann hätte von Cäsars de bello gallico eine Fortsetzung erscheinen müssen, in der es Jodocus mit der Staatsgewalt aufnehmen würde.«
»Was für ein Bello?«, fragte Gabi. »Und wo ist der Rest der Kriminalistenschar?«
»Einige sind zum Shoppen in die City, andere erholen sich im Hotel vom Jetlag«, Jo grinste sie an, »besonders die Schweden und die Italiener.«
»Nee, einen der Italiener haben wir dabei, und Brunetti ist doch in Ihrer Gruppe«, sagte Gabi und fügte, den Mann im hellgrauen Anzug fixierend, halblaut hinzu. »Ich habe mir den Guido Brunetti immer ein wenig größer vorgestellt.«
Monika war inzwischen ebenfalls im Foyer eingetroffen, um Jo und die Besuchergruppe zu einer Führung durchs Präsidium abzuholen. Angefangen beim Schießstand und den Zellen im Keller wurde von den Labors bis zu der Asservatenkammer alles besichtigt, was dazu dienen konnte, die Zeit bis zu der im Anschluss geplanten Weinprobe zu überbrücken.
Im gleichen Augenblick, in dem Monika die Tür zur
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