Codex Mosel
»So wie manche Seiten auf dem Andruck ausgesehen haben, konnte ich keine Druckfreigabe für den Katalog erteilen. Zum einen wollte ich zur Eröffnung am Freitag nicht mit leeren Händen, sprich ohne Katalog, dastehen, zum anderen eine entsprechende Qualität vorweisen. Dazu mussten ein paar Seiten neu fotografiert werden.«
»So ein großer Aufwand?« Walde lehnte sich an die glatten Stein des Bruchstücks einer Säule, die neben dem Eingang des Doms lag. »Nur um ein paar Seiten schöner zu gestalten?«
»Es handelt sich hier um den Egbert Codex.« Adams hob bei diesem Namen die Stimme. »Eine wunderbare mittelalterliche Buchmalerei, aufgenommen in das Welterberegister der UNESCO. Die Farbabweichungen waren eklatant, vollkommen indiskutabel.« Adams schob seinen Stuhl wieder an.
Sein Begleiter eilte voraus zur Tür und zog an dem Ring unter dem Löwenkopf. Während er die schwere Tür aufhielt, streifte er die Glut seines Zigarillos am eisernen Türbeschlag ab.
»Seitdem ich Bekanntschaft mit diesem Fahrzeug machen durfte, halte ich mich von wackligen Baugerüsten fern und bin etwas sensibler für barrierefreie Architektur geworden.«
»Herr Professor, könnten Sie uns bitte den Weg zeigen, auf dem Sie mit der Fotografin zur Domschatzkammer gelangt sind?«
»Da ist uns ganz sicher niemand gefolgt.« Adams ließ den Rollstuhl ein wenig zurückrollen, als nehme er Anlauf.
Sein Begleiter steckte ein silberfarbenes Etui in eine verborgene Tasche unter seinem Gewand und drückte eine breite Glastür zwischen den Drehtüren im Windfang des Doms auf. Adams rollte eine Rampe hinunter und nutzte den Schwung, um durch den Mittelgang auf den Altar zuzurollen. Vor dem Altar schlug er ein Kreuz über der Brust und verbeugte sich leicht.
»Da hinten durch den Fröhlicher-Aufbau hinter dem Ostchor sollen die Diebe hereingekommen sein.« Der Professor wies auf die Tür in einer Wand aus schwarzem Marmor, an der links und rechts Treppen mit hellem Steingeländer hinaufführten.
»Wir haben ein Phantombild anfertigen lassen«, sagte Walde und griff in die Innentasche seiner Jacke.
»Das war eindeutig eine Sicherheitslücke, die wir beim Ausbau der Athanasiuskapelle unter der Heiltumskammer nicht berücksichtigt haben.« Adams stützte sich mit beiden Armen auf die Stuhllehnen und kam auf die Beine. Sein Begleiter reichte ihm zwei Krücken aus einer Halterung am Rücken des Stuhls. Adams warf einen kurzen Blick auf die Zeichnung. »Noch nie gesehen.«
Er humpelte um den steinernen Altar. Walde steckte die zusammengefaltete Zeichnung wieder zurück und folgte mit den anderen dem Domkapitular. Der legte zwischen dem verzierten Chorgestühl eine Pause ein. »Die Arme sind auch noch etwas steif.« Er stützte sich nacheinander auf nur eine Krücke und lockerte den freien Arm, indem er ihn leicht kreisen ließ. Dann setzte er den Weg bis zu der unscheinbaren Tür in der schwarz glänzenden Wand fort. Als sie nicht nachgab, lehnte er eine Krücke an den Rahmen und zog einen Schlüsselbund aus der Tasche. Mit untrüglicher Sicherheit entschied er sich für einen der zwei Dutzend Schlüssel und steckte ihn ins Schloss. Als er die Tür aufdrückte, glitt die angelehnte Krücke ins dunkle Innere. Gabi kam Walde zuvor und bückte sich. Walde bemerkte Salvos interessierten Blick, als der nach oben gleitende Rock Gabis Oberschenkel freigab.
Aus der Kapelle wehte ihnen der Geruch von Kalk und Zement entgegen. Walde folgte dem Domkapitular als Erster in den Raum, in den fahles Licht durch die kleinen Fenster in den meterdicken Wänden fiel. Hinter den Gerüsten waren Malereien an den Wänden auszumachen, ohne dass Walde Details erkennen konnte.
»Die Athanasiuskapelle, eine Rotunde …« Der Domkapitular hielt inne. »Sie wird zurzeit zu einer Kapelle für unsere orthodoxen Glaubensbrüder umgestaltet.«
Adams schloss bereits die zweite Tür auf, die hinaus auf die Windstraße führte. Draußen nahm er erneut im Rollstuhl Platz und ließ sich von seinem Begleiter an den hohen Mauern auf der Nordseite des Doms entlangschieben.
»Entschuldigen Sie, dass ich nicht gleich alles übersetzen konnte«, sagte Gabi, zu Salvo und Kay gewandt.
»Kein Problem, Siggi hat das schon getan, und etwas verstehe ich auch«, antwortete Kay Scarpetta. »Ich habe im College gelernt ein wenig Deutsch«, radebrechte sie. »Außerdem hatte meine Großmutter einen deutschen Schäferhund«, fügte sie in ihrer Muttersprache an, um dann auf Deutsch folgen zu
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