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Codex Mosel

Titel: Codex Mosel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mischa Martini
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lassen: »Sitz, Platz, Pfui, Hopp!«
    *
    Veit zerrte einen blauen Plastiksack aus dem Container. Zwischen leeren Tetrapaks, Obstschalen, Plastikflaschen und Verpackungen von Müsli-, Schokoriegeln und Milchschnitten fand er ein in Klarsichtfolie gehülltes Brot mit Schinken und Gurkenscheiben. Es schmeckte köstlich. Während er kaute, blickte er über den leeren Schulhof, abwechselnd zu den Fenstern des Lehrerzimmers, hinter denen noch Licht brannte, und dem Ausgang der Sporthalle, aus der Balltrippeln, Rufe und das Quietschen von Turnschuhen auf Linoleum zu hören waren.
    Ein in Butterbrotpapier verpacktes Stück Marmorkuchen machte seinem Namen alle Ehre. Veit, der nichts zu trinken dabei hatte, brachte es kaum hinunter. Instinktiv hatte er um die Armenküche am Krankenhaus einen Bogen gemacht. Zu seiner Hütte konnte er auch nicht mehr zurück. Hinter einer platt getretenen Dose fand er einen Apfel. Als er hineinbiss, sah er den Kaugummi, der obenauf pappte. Nachdem er ihn sorgfältig abgepult hatte, blieben Reste davon an seinen Fingerspitzen kleben. Er versuchte immer noch, sie an der Hose abzuwischen, als er bereits wieder auf der Straße unterwegs war.
    Veit bemerkte die von einem Geistlichen im Rollstuhl angeführte Gruppe auf der anderen Seite erst, als er auf gleicher Höhe mit ihr war. Umso heftiger zuckte er zusammen, als er den Mann erkannte, den er am Morgen vor seiner Hütte beobachtet hatte. Ihm musste er den Schrein wieder abjagen!
    *
    »Also, hier sind wir reingekommen.« Der Domkapitular sperrte eine Tür auf, neben der Walde auf einem Schild DOMKREUZGANG las.
    Adams rappelte sich, nachdem er einige Meter durch den von Spitzbögen gesäumten langen Gang gerollt war, wieder aus dem Stuhl hoch und stieß mit einer Krücke das Gitter zu einer spartanisch wirkenden Kapelle auf.
    »Die haben da nichts verloren!« Er hinkte zu einem erhöhten steinernen, thronähnlichen Sitz an der Rückwand. Sein Begleiter eilte ihm nach, klaubte dort drei Friedhofsleuchten auf und stellte sie auf den Fußboden.
    »Das ist der Krummelstuhl, da saßen in früheren Jahrhunderten meine Vorgänger zu Gericht.«
    »Zu Gericht?«, fragte Gabi verwundert.
    »Die Domimmunität hatte im Mittelalter ihre eigene Gerichtsbarkeit. Davon erzähle ich Ihnen ein andermal.«
    Als sie am Ende des Kreuzgangs an die Tür zum Dom gelangten, schaute Walde auf seine Uhr. »Ich denke, wir haben hier genug gesehen, Herr Adams. Könnten wir abschließend noch einen Blick in Ihren Garten werfen?«
     
    Auf dem Weg vom Türchen in der hohen Mauer zum Kutscherhaus konnte der Domkapitular den Stuhl nicht aus eigener Kraft über den feinen Kies schieben.
    »Hier hab ich sie vor einer Woche gefunden.« Adams deutete auf einen Strauch mit auffallend dunklen Blättern. »Die Hexe, sie ist vergiftet worden.«
    Walde hörte, wie Gabi hinter ihm die Worte des Professors ins Englische übersetzte und anfügte: »Was darauf hindeutet, dass der Professor seit einer Woche observiert wurde.«
    »Welche Hexe. Nennt man so die Haushälterinnen?«, fragte Kay.
    »Nein«, Gabi lachte, »höchstens Hausdrachen …«
    »… meine ist eine Perle«, unterbrach sie der Domkapitular. »Hexe, so hieß mein Hund, ein belgischer Schäferhund.«
    »Verstanden«, kam Kay Gabis Übersetzung zuvor.
    »Dürfen wir?« Siggi stand mit Salvo am Eingang zum Kutscherhaus.
    Als Walde nickte, verschwanden die beiden durch die grün gestrichene Tür. Kay schien ebenfalls das Interesse an dem Gespräch zwischen Walde und Adams verloren zu haben und schlenderte unter Bäumen hindurch in den Garten hinein.
    Walde blieb mit Gabi, Adams und dessen Begleiter, der sein Etui wieder hervorgeholt hatte und den halben Zigarillo über der Flamme eines Streichholzes anrauchte, vor dem Kutscherhaus zurück.
    »Ich habe gehört, was Sie Ihren Begleitern erklärt haben«, wandte sich der Domkapitular an Gabi. »Sie glauben also, dass mich jemand hier aus der Remise beobachtet hat.«
    »Nicht nur beobachtet«, sagte Gabi. »Unsere Techniker vermuten, dass Ihr Telefon abgehört wurde.«
    »Ich habe vorgestern Abend mit Frau Basten telefoniert, dann mit der Polizei und einem Sakristan wegen der Abschaltung der Alarmanlage in der Domschatzkammer. Wer da mitgehört hat, dem wurde die Gelegenheit auf einem goldenen Teller serviert.« Der Professor seufzte und zeigte auf den ins warme Licht der untergehenden Sonne getauchten Fachwerkgiebel des Kutscherhauses. »Und diese Leute von hier oben haben Hexe und

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