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Codex Regius - Indriðason, A: Codex Regius - Konungsbók

Codex Regius - Indriðason, A: Codex Regius - Konungsbók

Titel: Codex Regius - Indriðason, A: Codex Regius - Konungsbók Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indriðason
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Büchern und Papieren überquollen. Auf die Bücher waren waagerecht in sämtliche vorhandenen Lücken weitere Bücher gestopft worden, vom Fußboden bis zur Decke. Stapel mit Dokumenten und Aktenordnern standen oder lagen allenthalben herum, vor allem auf dem Fußboden. Ein kleiner Rauchtisch bog sich unter der Last von Büchern. In diesem Chaos gab es keinerlei Anzeichen für irgendeine Ordnung, und ich konnte mir nicht vorstellen, dass es möglich war, da drinnen irgendetwas wiederzufinden. Auf dem Schreibtisch am Fenster gab es noch mehr Bücher und Papierkram, aber dort stand auch eine vorsintflutliche Schreibmaschine und daneben eine halb volle Flasche mit isländischem Brennivín, die sicherjemand aus Island dem Professor mitgebracht hatte. Ein penetranter Geruch von Schnupftabak lag in der Luft, und in einer Keramikschale auf dem Schreibtisch sah ich mehr Schnupftabaksdosen, als ich auf die Schnelle zählen konnte. Einige davon waren versilbert und wiesen Initialen auf, aber es gab auch schlichte Blechdosen mit der Aufschrift des isländischen Importeurs. Der Herr Professor schien eine ausgesprochene Vorliebe für isländischen Schnupftabak zu haben.
    Bei näherem Hinsehen entdeckte ich plötzlich, dass auf dem Fußboden hinter dem Schreibtisch jemand lag. Zunächst sah ich nur die abgelaufenen Sohlen von braunen Schuhen und schrak zusammen. Dann stellte ich aber fest, dass sie an zwei Beinen steckten, die unter dem Schreibtisch verschwanden, und ich trat näher heran. Ich hatte nicht den geringsten Zweifel, dass es sich um den Professor handelte. Zuerst fürchtete ich, er hätte einen Herzschlag bekommen und wäre tot. Doch dieser Sorge war ich enthoben, als ich seine schweren Atemzüge vernahm. Ich bückte mich und berührte seine Stirn, sie war heiß. Er hielt eine Flasche mit billigem Branntwein umklammert und trug einen grauen, fadenscheinigen Anzug, darunter eine Strickweste und ein weißes Hemd mit Krawatte.
    Ich stieß ihn leicht mit dem Fuß an, aber das brachte nichts. Auch als ich mich niederbeugte und ihn rüttelte, wollte er nicht aufwachen. Ich überlegte, was zu tun war. Am liebsten hätte ich mich ganz einfach aus dem Staub gemacht und ihn da in seinem Rausch liegen lassen. Es war ja wohl kaum meine Aufgabe, dem Professor in einer derartigen Situation zu Hilfe zu kommen. Vermutlich hatte er sich die ganze Nacht volllaufen lassen und war gegen Morgen einfach umgefallen. Vielleicht hatte er ja auch schon viele Tage lang in seinem Büro gesoffen. Ich erinnerte mich an das Stöhnen, das ich gehört zu haben glaubte, als ich tagszuvor angeklopft hatte. Der Professor war augenscheinlich zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt, um sich mit neuen Studenten abzugeben.
    Es gab in dem Büro auch ein verschlissenes Sofa, und ich versuchte, den Professor dorthin zu zerren. Er war schwer, und ich war nicht sehr kräftig, deswegen blieb mir nichts anderes übrig, als ihn über den Boden zu schleifen. Irgendwie gelang es mir, ihn aufs Sofa zu bugsieren, wo ich ihn, so gut ich konnte, zurechtlegte. Die Branntweinflasche hielt er immer noch so fest umklammert, als sei sie sein einziger Kontakt zur Außenwelt. Ich hielt Ausschau nach etwas, womit ich ihn zudecken konnte, fand aber nichts. An einem Haken bei der Tür hing ein großer brauner Ledermantel, den ich über den Professor breitete, der in seinem Rausch irgendetwas Unverständliches murmelte.
    Als ich mich in seinem Büro umsah, fiel mein Blick auf ein kleines Büchlein auf dem Schreibtisch, das an der Titelseite aufgeschlagen war. Ich wollte keineswegs herumspionieren, aber trotzdem reckte ich den Kopf, um zu sehen, was das für ein Buch war. Ich las den Titel: »Die Edda. Volksausgabe«. Und darunter stand: »Sonderausgabe für die Hitlerjugend. Nicht zum Verkauf.«
    Plötzlich schien der Professor zu sich zu kommen. Er richtete sich auf und starrte mich mit tränenverschleierten Augen an.
    »Gitte?«, sagte er.
    Ich bewegte mich nicht und sagte nichts.
    »Bist du das, Gitte?«, fragte er. »Liebste Gitte …«
    Im nächsten Moment war er wieder eingeschlafen.
    Ich verließ das Zimmer leise und schloss die Tür hinter mir.
    Ich wusste nicht, was ich mit diesem angebrochenen Tag anfangen sollte. Dr. Sigursveinn von der Isländischen Abteilung daheim hatte mir versichert, dass der Professormich gut in Empfang nehmen würde, er hatte sich nämlich meinetwegen mit ihm in Verbindung gesetzt. Er würde mir bestimmt helfen, mich in alles hineinzufinden, wie

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