Codex Regius - Indriðason, A: Codex Regius - Konungsbók
begrüßten uns. Und dann erinnerte ich mich natürlich an ihn. Er war Schriftsteller und hatte im letzten Frühjahr einen Roman herausgegeben, der wegen seines Themas und seiner Freizügigkeit viel Aufsehen erregt hatte. Es war eines der beiden Bücher, die ich mir vor der Abreise gekauft und mit nach Kopenhagen genommen hatte.
Die Nachricht lief ein weiteres Mal über das Leuchtschild, und ich sah, wie sie sich in den Fenstern der umliegenden Häuser spiegelte.
»Phantastisch«, sagte der Professor ein weiteres Mal.
Der Journalist ließ die Zigarette auf die Straße fallen und trat sie aus. Anschließend verabschiedete er sich von uns. »Wir müssen in Erfahrung bringen, ob Sigmundur eine Passage auf der Gullfoss gebucht hat«, sagte der Professor und stiefelte mit dem Stock in der Hand los. Seine Schritte waren beschwingter denn je.
Auf dem Weg nach Kopenhagen hatten wir darüber gesprochen, dass wir nicht zu uns nach Hause gehen konnten. Die deutsche Polizei hatte zweifellos ihre dänischen Kollegen eingeschaltet. Wir mussten einige Tageuntertauchen. Ich hatte keine Ahnung, wie der Professor uns an Bord der Gullfoss bringen wollte, falls wir diesem Sigmundur dorthin folgen mussten. Nach uns wurde gefahndet, und wir konnten wohl kaum zur Filiale der Eimskip-Reederei gehen und uns eine Fahrkarte kaufen. Ich folgte dem Professor und dem Klacken des Stocks. Er führte uns über die Vestergade, und bald befanden wir uns in der Krystalgade.
Der Professor blieb vor einem dreistöckigen Haus stehen und sah daran hoch, bevor er auf eine Klingel drückte. Es verging eine Weile, bevor die Tür geöffnet wurde. Eine Frau, die etwa zehn Jahre jünger war als der Professor, erschien. Er kannte sie augenscheinlich sehr gut, denn die beiden begrüßten sich herzlich. Er stellte mich ihr vor, und wir gaben uns die Hand. Dann ließ sie uns herein. Sie lebte im Erdgeschoss des Hauses in einer kleinen, geschmackvoll eingerichteten Wohnung. Es war bereits spät, aber sie setzte Kaffee für uns auf und servierte ihn im Wohnzimmer. Zu meiner großen Verwunderung erklärte der Professor ihr in allen Einzelheiten den Grund für unseren Besuch und verheimlichte ihr dabei nichts. Sie musste über das Verschwinden des Codex Regius Bescheid wissen, obwohl der Professor mir gegenüber behauptet hatte, dass außer uns beiden keine lebende Seele davon wusste. Er berichtete ihr von unserer Suche und unseren Reisen und von allem, was sich in Deutschland ereignet hatte, dass nach uns gefahndet würde, ohne dass wir uns etwas hatten zuschulden kommen lassen, und dass wir für ein paar Tage einen Unterschlupf bräuchten. Die Frau hörte uns ruhig zu und zeigte keinerlei Anzeichen von Überraschung. Sie goss uns Kaffee ein und stellte Brot und Käse auf den Tisch. Ich war völlig ausgehungert und schlang das Angebotene hinunter. Als sie das bemerkte, lächelte sie und holte mehr.
Als wir uns an der Haustür die Hand gaben, hatte die Frau mir ihren Namen gesagt, sie hieß Vera. Sie machte einen sehr ruhigen Eindruck, und ich hatte das Gefühl, dass sie dem Professor eine sehr vertraute Freundin war, an die er sich wenden konnte, wann immer er das Bedürfnis dazu verspürte. Das sah man ihrem Umgang miteinander an, der von gegenseitiger Achtung und Freundschaft zeugte. Ich hätte den Professor zu gern gefragt, wer diese gute Freundin war. Gleichzeitig schoss mir an diesem Abend ein weiterer Gedanke durch den Kopf: Die engsten Vertrauten des Professors, sowohl in Dänemark als auch in Deutschland, waren offensichtlich Frauen in den besten Jahren, die bereit waren, alles für ihn zu tun.
Als der Professor mit seinem Bericht fertig war, saß Vera zunächst eine Weile stumm da, als bräuchte sie etwas Zeit, um das, was sie gehört hatte, zu verarbeiten.
»Ihr könnt selbstverständlich bei mir unterkommen«, sagte sie. »Ich habe aber nur ein Extrazimmer, wie du weißt, das ihr euch teilen müsst. Ich hoffe nur, dass du den jungen Mann nicht in irgendwelche gefährlichen Dinge verwickelst.«
Der Professor sah mich an. »Der kommt schon klar. Und entschuldige bitte, Vera, dass wir dir zur Last fallen, aber ich wusste nicht, wohin wir uns wenden sollten. Wir haben eine anstrengende Reise hinter uns.«
»Und das Buch?«
»Ich bin überzeugt, dass Sigmundur übermorgen mit der Gullfoss nach Island reisen wird. Wir müssen ihn uns möglichst noch hier in Kopenhagen schnappen und ihm ins Gewissen reden. Falls der Codex Regius wirklich in seinen
Weitere Kostenlose Bücher