Codex Regius - Indriðason, A: Codex Regius - Konungsbók
hereingestürmt.
»Er fährt mit der Gullfoss! «, erklärte er. »Genau, wie ich vermutet hatte. Der alte Sigmundur reist morgen mit der Gullfoss nach Island.«
Zweiundzwanzig
Die Nachrichten aus Deutschland, dass wir des Überfalls auf den Kunsthändler Färber und des Mordes an Großhändler Glockner verdächtigt wurden, waren bis nach Dänemark vorgedrungen. Den Professor schien es völlig kaltzulassen, dass wir auch für den Mord an Glockner verantwortlich gemacht wurden. Glockners Sekretärin hatte uns vermutlich anhand der polizeilichen Beschreibung identifiziert. Er machte sich allenfalls Gedanken darüber, dass es dadurch nicht so einfach sein würde, auf die Gullfoss zu kommen. Wir konnten wohl kaum ganz normal eine Fahrkarte kaufen und an Bord spazieren. Und auf dem Schiff würden wir uns irgendwo verstecken müssen. Wir überlegten, ob wir Sigmundur auf dem Kai abpassen könnten, bevor er an Bord ging, um ihm gut zuzureden und ihn zu Verstand zu bringen, doch der Professor machte sich auch jetzt schon Gedanken darüber, wie wir uns auf das Schiff schmuggeln könnten, falls alle Stricke rissen.
Ich schlug vor, uns zu stellen, die ganze Wahrheit zu sagen und es der Polizei zu überlassen, Sigmundur und die Handschrift zu finden. Es handelte sich um Diebesgut aus Kriegszeiten, das erpresserisch geraubt worden war, und er müsse den Codex Regius einfach wieder zurückgeben. Wir hätten ganz gewiss das Recht auf unserer Seite, und der Käufer in Island könne niemals darauf bestehen, die Handschrift zu behalten. Dann bekäme der Professor das Kleinod zurück, und wir könnten uns von dem Verdachtbefreien, diese Gewalttaten auf Färber und Glockner verübt zu haben.
»Das hört sich alles ganz gut an«, sagte der Professor, als wir am Nachmittag vor dem Auslaufen der Gullfoss in Veras Wohnzimmer saßen. Sie machte irgendwelche Besorgungen, und wir beide waren allein in der Wohnung. »Ich befürchte aber, dass die uns unverzüglich an die Deutschen ausliefern, wenn wir uns hier stellen«, fuhr er fort. »Niemand wird auf das hören, was wir zu sagen haben, höchstens, wenn der größte Wirbel vorbei ist, und dann ist es zu spät. Meiner Meinung nach ist es besser, die Sache selbst in die Hand zu nehmen und aufzuklären und sich dann erst zu stellen. Der Codex Regius ist zum Greifen nahe. Wir dürfen ihn uns nicht durch die Lappen gehen lassen. Der neue Besitzer könnte ein Spekulant sein, der ihn womöglich schon wieder weiterverkauft hat, das wissen wir gar nicht. Wir wissen nur, dass Sigmundur die Handschrift hat und wir ihn abfangen können.«
»Und was ist mit denen, die Färber und Glockner überfallen haben?«
»Die sind wohl nicht mehr hinter uns her«, sagte der Professor. »Sie wissen inzwischen ganz sicher, dass wir das Buch nicht haben.«
»Aber was ist, wenn sie Sigmundur finden?«
»Versuchen wir, optimistisch zu sein«, sagte der Professor. Ich traute mich nicht, ihn nach dem zu fragen, was Vera mir morgens in der Küche erzählt hatte über Gittes Familie und die Ablehnung, die ihm entgegengebracht worden war. Auch wenn wir zusammen so viel durchgestanden hatten, dass es für ein ganzes Leben reichen würde, fand ich, dass ich ihn nicht gut genug kannte, um mit ihm über private Dinge zu reden. Vielleicht hatte ich zu viel Respekt vor ihm. Ich besaß auch nicht dieses nimmermüde und alles hinterfragende Interesse an allem Möglichen zwischenHimmel und Erde, das er an den Tag legte. Auch der Altersunterschied schlug zu meinen Ungunsten zu Buche. Er konnte mich nach Belieben von oben herab behandeln, mich seinen Jungen nennen und dergleichen. Mir war in meiner Erziehung beigebracht worden, älteren Menschen gegenüber höflich zu sein, und für mich war es ganz selbstverständlich, mich auch dem Professor gegenüber so zu verhalten. Etwas in seiner Art bewirkte, dass er überall und jederzeit ernst genommen wurde, und man brachte ihm instinktiv Respekt entgegen. Zwar war seine Selbstachtung ein wenig – manche würden sagen, stark – in Mitleidenschaft gezogen worden, aber ich kannte niemanden, der mehr Integrität ausstrahlte, auch wenn ihm das Schicksal zu der Zeit, als ich ihn kennenlernte, einen Tiefschlag nach dem anderen versetzte.
Ich traute mich deswegen nicht, ihn nach seinen Privatangelegenheiten zu fragen. So etwas war zwischen uns bislang noch nie zur Sprache gekommen. Deswegen war ich mehr als verwundert, als er in Veras Wohnzimmer auf einmal begann, von Gitte zu erzählen.
Weitere Kostenlose Bücher