Codex Regius - Indriðason, A: Codex Regius - Konungsbók
Islands?«
»Nach Nordisland, um das Grab zu öffnen, Valdemar. Wenn ich das herausgefunden habe, ist es nur noch eine Frage der Zeit. Nur eine Frage der Zeit, Valdemar!«
Mit diesen merkwürdigen und unverständlichen Worten wurde ich fast wie ein x-beliebiger Passant praktisch von der Straße weg in das unglaublichste Abenteuer meines Lebens hineingerissen.
»Komm mit«, sagte der Professor nach einigem Überlegen. »Ich möchte dir etwas zeigen.«
Sechs
Ich hatte keine Ahnung, wohin wir gingen. Der Professor wandte sich nach rechts, als wir auf die Straße hinaustraten. Obwohl er gehbehindert und sehr viel älter war als ich, hatte ich Mühe, mit ihm Schritt zu halten. Der Ledermantel flatterte hinter ihm, und der Professor stieß so heftig mit seinem Stock auf, dass es in der stillen Straße widerhallte. Es hätte mich nicht gewundert, wenn beim Auftreffen der Stahlspitze auf das Pflaster Funken geflogen wären. Wir gingen auf Slotsholmen zu.
Er begann, mir etwas mehr über die beiden Deutschen zu erzählen, und was er sagte, klang nach einem reißerischen Schundroman. Sie waren Mitglieder eines Geheimbunds, der zu Beginn der zwanziger Jahre in Deutschland von dem Runenspezialisten Erich von Orlepp gegründet worden war. Er war Kunsthändler und überzeugter Nazi, dessen Interesse für Nordisches an Besessenheit grenzte. Er hatte Nordistik studiert mit dem Ziel, die Überlegenheit der arischen Rasse wissenschaftlich zu untermauern. Dieser Geheimbund hielt mehrmals im Jahr Kultversammlungen mit Rezitationen aus der Edda ab.
»In Deutschland gab es zahlreiche geheime Vereinigungen dieser Art. Von daher rührte wohl auch Hitlers Interesse an der Edda », sagte der Professor.
»Adolf Hitler?«
Es ging den Nazis um die Eddalieder und die anderen nordischen Überlieferungen wie die Völsunga saga , die sichmit Stoffen befassen, die auch in der deutschen mittelalterlichen Literatur überliefert sind«, sagte der Professor. »Du weißt, dass Richard Wagner den Stoff für den Ring nicht aus dem deutschen Nibelungenlied, sondern aus der nordischen Überlieferung genommen hat.«
Er erklärte mir, dass die Nazis deswegen ein ganz spezielles Interesse an Island gehabt hatten. Sie seien davon ausgegangen, dass die alten germanischen Sagen, das uralte historische Erbe der germanischen Völker, in der mündlichen Tradition der Isländer bewahrt worden waren und schließlich in Island zu Pergament gebracht wurden. Der Professor behauptete, dass diverse Geheimzeichen dieser Vereinigungen später offiziell übernommen und zu nationalsozialistischen Emblemen gemacht wurden, wie der Hitlergruß und das Hakenkreuz, das aus der nordischen Mythologie stammte und auf Mjölnir, den Hammer von Thor, verwies. Die Edda hatte ihnen dann als eine Art Leitfaden gedient, und im militärischen Bereich gab es zahlreiche Symbole aus dem germanischen Erbe. Der nationalsozialistische Gruß stammte aus dem Sigrdrífa-Lied . »›Heil dir Tag, Heil euch, Söhne des Tages‹ heißt es dort, und das wurde zu ›Heil Hitler‹«, erklärte mir der Professor.
»Davon habe ich gehört«, warf ich ein.
»Ich bin häufig im Deutschland der Nazizeit gewesen und habe einige von diesen Geheimbünden und ihren Zusammenkünften miterlebt«, sagte der Professor. »Sie waren unterschiedlicher Art, von harmlosen Halleluja-Versammlungen bis hin zu rassistischen Hetzveranstaltungen. Die meisten fand ich grauenerregend.«
Ich riskierte es, ihn daran zu erinnern, dass es in Island und andernorts Leute gab, die der Meinung waren, er habe auf der Seite der Nazis gestanden, weil er diese Kontakte zu Geheimbünden und hohen Funktionären in der NSDAPgehabt hatte, als die Partei auf dem Höhepunkt ihrer Macht war.
Er stürmte unter heftigem Klacken des Stocks über die Brücke bei Holmsens Kirke nach Slotsholmen hinüber, wo er abrupt stehen blieb.
»Untersteh dich, Valdemar, mich einen Nazi zu nennen!«, sagte er.
»Das wäre mir nie eingefallen«, sagte ich erschrocken. »Ich habe nur auf etwas hingewiesen, was ich gehört habe.«
»Ich gehe davon aus, dass das meiste, was du über mich gehört hast, Lüge ist«, antwortete er. »Es gibt jede Menge Leute, die mir nicht wohlgesonnen sind, nicht zuletzt hier in Kopenhagen. Ihnen missfällt es, dass ich dafür kämpfe, die isländischen Handschriften nach Island zurückzuholen. Sie wollen sie unter allen Umständen hierbehalten. Meine Person spielt in dieser Kontroverse zwar keine Rolle, aber wenn ich mit
Weitere Kostenlose Bücher