Codex Regius - Indriðason, A: Codex Regius - Konungsbók
Ernst D. Jörgensen. Wir standen auf dem Treppenabsatz und warteten.
»Na schön, kommen Sie herein«, sagte er endlich und ließ uns in die Wohnung. »Entschuldigen Sie bitte das Chaos hier drinnen, aber dieser Besuch kommt sehr überraschend. Ich habe ehrlich gesagt keinerlei Besuch erwartet.«
Wir folgten ihm in ein kleines Wohnzimmer. Die Wohnung machte einen ziemlich heruntergekommenen Eindruck. Im Wohnzimmer waren zwei große Bücherwände. Man konnte in eine winzige Küche hineinsehen, und bei der Eingangstür befand sich ein weiteres Zimmer. Es war kalt in der Wohnung. Vielleicht hatte er kein Geld, um richtig einzuheizen. Der Professor hatte mir gesagt, dass sein Vater es in Deutschland zu einem Vermögen gebracht hatte, und ich überlegte, was aus diesem Reichtum gewordenwar. Ungefragt gab mir der Alte in gewissem Sinne eine Antwort darauf.
»Die Kommunisten haben uns alles weggenommen«, sagte er, während wir Platz nahmen. »Ich habe erst zu spät begriffen, was da nach dem Krieg passierte. Sie haben das Land in Zonen aufgeteilt, und wir waren unter den Russen. Wir wurden enteignet, die Villa und das Landhaus hat man uns weggenommen, und dann sahen wir uns gezwungen zu fliehen. Meine Frau war Norwegerin, und deshalb sind wir hierhin gegangen, sozusagen völlig mittellos. Meine Frau ist vor zwei Jahren gestorben.«
»Das waren schwierige Zeiten«, sagte der Professor teilnahmsvoll.
»Das waren es. Was wollen Sie über meinen Vater und seine Bücher wissen?«
»Darf ich fragen, ob Sie sich an ihn erinnern können?«
»An ihn selbst kann ich mich kaum erinnern«, sagte Ernst D. Jörgensen. »Ich war bei seinem Tod sieben Jahre alt. Es hat fast ein Jahr gedauert, bis er starb, Krebs, verstehen Sie. An die Zeit kann ich mich erinnern und auch an meine Mutter, die sehr darunter litt. Sie war erheblich jünger als mein Vater.«
»Er war halber Isländer, geboren in Hofsós, einem kleinen Ort in Nordisland«, sagte der Professor.
»Das weiß ich. Ich bin aber selbst nie nach Island gekommen und habe keine Ahnung, ob ich dort Verwandte habe.«
»Ganz bestimmt«, sagte der Professor.
»Mein Vater ist nach Island gereist«, sagte der alte Mann. »Er hatte großes Interesse an dem Land.«
»Wissen Sie, was er mit dieser Reise bezweckte?«
»Nicht genau, aber wahrscheinlich hatte es etwas mit seiner Leidenschaft für Bücher zu tun. Er war ein großer Sammler, wie Sie ja wissen, denn sonst wären Sie nicht hier. Ich muss leider zugeben, dass ich in den Jahren der Weltwirtschaftskrisegezwungen war, einen Großteil der Bücher zu verkaufen. Das waren damals schwierige Zeiten in Deutschland. Uns fehlte es an Geld, und wir mussten Unmengen von Büchern verkaufen, darunter waren meines Wissens viele seltene Ausgaben. Ich kenne mich nicht so sehr damit aus, mein verstorbener Bruder hat das damals in die Hände genommen.«
»Können Sie mir sagen, was für Käufer das waren?«
»Da gab es einige. Herr Lange aus Stuttgart hat einen großen Teil der Sammlung gekauft, auch ein Herr Fassbinder aus Leipzig. Die sind beide gefallen.«
Der alte Mann überlegte. »Und dann war da auch noch dieser von Orlepp, der hat auch viel aus der Sammlung gekauft.«
Ich sah, dass der Professor aufhorchte.
»Und er hat sehr gut dafür bezahlt«, fügte Jörgensen hinzu. »Er war einer der wichtigsten Käufer.«
»Können Sie sich an besonders wertvolle Objekte in der Sammlung erinnern?«
»Nach was suchen Sie denn vor allem?«
»Da käme vieles in Betracht. Erstausgaben, die in den Jahren von 1750 bis 1850 in Kopenhagen gedruckt wurden, vor allem bei Páll Sveinsson, dem Buchbinder an der alten Münze, Werke wie Die Schlacht von Solferino von Gröndal oder die Märchen aus Tausendundeiner Nacht in der Übersetzung von …«
»Verzeihen Sie«, unterbrach der alte Mann den Professor, »ich hatte nie das Interesse für Bücher wie mein Vater, und ich kenne mich da überhaupt nicht aus.«
Ich starrte den Professor an. Er hatte diese Begegnung besser vorbereitet, als ich gedacht hatte. Und ich war noch nie einem Menschen begegnet, dem die Lügen so schnell über die Lippen gingen. Die alte Münze? Wo nahm er diese Worte her?
»Wissen Sie etwas über die isländischen Bücher in seiner Sammlung?«, fragte der Professor.
»Nicht wirklich«, entgegnete der alte Mann. »Es ist wie gesagt lange her, seit wir den Großteil der Sammlung veräußerten, und ich kannte mich nun mal nicht damit aus. Mein älterer Bruder Hans, der das
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