Coe, David B. - Die Chroniken von Amarid 01 - Der Fluch des Magiers
wissen wie sein Bruder, was zwischen Baden und seinen Eltern vorgefallen war. Er wusste, er hätte so etwas niemals sagen können; seine Eltern, besonders sein Vater, hätten es ihm nicht durchgehen lassen. Aber Royden war anders. Vielleicht, weil er der Ältere war, oder vielleicht, weil er und Bernel sich so nahe standen, konnte er beinahe alles aussprechen, ohne dafür getadelt zu werden. So war es seit ihrer Kindheit gewesen, und Royden hatte das oft zu Jaryds Nutzen eingesetzt, so wie nun gerade.
In diesem Fall fürchtete Jaryd allerdings, dass Royden zu weit gegangen war. Bernel warf seinem Sohn einen erbosten Blick zu, sagte aber nichts. Dann allerdings lächelte er zu Jaryds großer Überraschung, wenn auch traurig, und wandte sich dem Magier zu, der ihn interessiert beobachtet hatte. »Baden«, sagte er ungewöhnlich sanft, »ich glaube, das ist eine Geschichte, die du erzählen solltest.« Baden erwiderte den Blick seines Bruders. Schließlich breitete sich auf seinem hageren Gesicht ein Lächeln aus, und er begann, bedächtig von sich hin zu nicken. Jaryd konnte sehen, dass der Magier und sein Vater seit ihrer Begegnung in der Schmiede und vielleicht erst mit diesem wortlosen Austausch einen Augenblick zuvor zu einer Übereinkunft gekommen waren.
Der Eulenmeister sah erst Royden und dann Jaryd an. Als er zu sprechen begann, war seine Stimme tiefer und tragender, als Jaryd sie vom Nachmittag in Erinnerung hatte. »Wir bezeichnen die Magie, mit der ich arbeite, mit der alle im Orden arbeiten, als unser Handwerk. Aber wenn diese Magie auch erst mit der Bindung eines Magiers an seinen Vogel wirklich deutlich wird, ist sie doch schon zuvor in einem Mann oder einer Frau vorhanden. Wir wissen nicht, wieso einige darüber verfügen und andere nicht. Es war ein Geschenk der Göttin Leora an unser Land, das sie, wie einige behaupteten, gab, weil sie Tobyn vor Lon bevorzugte und wünschte, ihr Zeichen in dem Land zu hinterlassen, das er geformt hatte. Wie alle Geschenke Leoras ist die Magie zufällig und unberechenbar. Aber manchmal wird sie von Generation zu Generation vererbt. Jaryd hat dir sicher erzählt, Royden, was er heute erfahren hat: Eure Großmutter und ihre Mutter vor ihr waren zu ihrer Zeit mächtige Eulenmeisterinnen. Als ihr beide noch klein wart, bin ich hierhergekommen, um zu sehen, ob ich die Saat dieser Macht in einem von euch feststellen konnte.« Er hatte während dieser Worte immer wieder zwischen seinen Neffen hin- und hergeschaut, aber nun richtete er seinen Blick auf Jaryd, und in dem Blau seiner Augen glaubte Jaryd, das kurze Aufflackern einer orangefarbenen Flamme zu erkennen. »Ich habe in dir gefunden, was ich suchte, Jaryd. Du hast mehr als nur den Blick, du hast die Anlage in dir, ein Magier von großer Kraft und Fähigkeit zu werden, genau wie Lyris und Lynwen es waren.« Jaryd spürte eine Macht hinter den Worten des Eulenmeisters, und obwohl er nicht so recht wusste, wie das möglich sein sollte, spürte er die Wahrheit in dem, was Baden gesagt hatte. Und mit dieser Wahrnehmung kam abermals die Erinnerung an die Vision, in der er sich selbst gesehen hatte, wie er die Angreifer Accalias mit magischem Feuer bekämpfte.
Angespanntes Schweigen machte sich breit. Und es wurde schließlich selbstverständlich von Royden gebrochen. »Das bedeutet wohl, dass ich weiter in der Schmiede arbeiten muss«, sagte er mit vor Ironie triefender Stimme. Diese Heiterkeit, so unerwartet nach dem, was gerade gesagt worden war, löste die Spannung und ließ sie alle lachen. Dann verging der Augenblick, und Baden schaute Jaryd abermals ernst an. »Bei meinem Besuch vor all diesen Jahren sind deine Eltern und ich übereingekommen, dass wir dir nichts davon sagen würden, bist du älter wärst und selbst entscheiden könntest, was du mit dieser Macht tun wolltest. Dein achtzehnter Geburtstag steht bevor, Jaryd. Du bist nun alt genug, um das Magierhandwerk zu erlernen. Es ist Zeit, dich zu entscheiden, welchem Weg du folgen willst.«
Jaryd sah von Baden zu seinem Vater und schließlich zu seiner Mutter. Alle drei beobachteten ihn genau, wenn sich auch auf ihren Zügen unterschiedliche Gefühle spiegelten. Der Eulenmeister betrachtete ihn neugierig, und seine Augen glitzerten wie die eines Falken vor der Jagd. Sein Vater blickte ernst und undurchschaubar drein, aber das jugendliche Gesicht seiner Mutter, nun abermals von Tränen gezeichnet, strahlte vor Stolz. Als Jaryd schließlich sprach, klang seine
Weitere Kostenlose Bücher