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Coe, Jonathan

Coe, Jonathan

Titel: Coe, Jonathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die ungeheurliche Einsamkeit des Maxwell Sim
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Herrlichkeiten
alter Welten in Augenschein zu nehmen. Wie jeder von Rogers Plänen hatte er
etwas Grandioses. An eine kurze Zugreise hin und zurück hätte er keinen
Gedanken verschwendet. Es gab so viele Orte, die er auf der Reise nach Süden
gerne besucht hätte, und schon redete er darüber, auf der Rückreise die italienische
und französische Riviera mitzunehmen und einen Abstecher nach Spanien zu
machen. Die ganze Reise, planmäßig durchgeführt, würde seiner Meinung nach
mehrere Monate dauern und einige Hundert Pfund kosten. Und so stand diesem
Vorhaben ein absolut vorhersehbares und allem Anschein nach unüberwindliches
Hindernis im Weg: der gravierende Mangel an Geldmitteln.
    An einem frühen Märzabend, wir
waren unterwegs zur Bar des Mermaid Theatre, um dort einen Drink zu nehmen und
eventuell hinterher die Vorstellung zu besuchen, lief der Keim einer Lösung des
Problems uns über den Weg. Als wir zusammen die Carter Lane
entlangschlenderten, kam uns auf der anderen Straßenseite ein hochgewachsener
Geschäftsmann im Nadelstreifenanzug mit Melone auf dem Kopf entgegen. Roger blieb
wie angewurzelt stehen und sah ihm nach, als er vorüberging.
    »Das ist Crispin«, sagte er.
»Komm, reden wir ein Wort mit ihm. Ich will dich ihm vorstellen.«
    »Meinst du, der freut sich,
uns zu sehen?«, fragte ich, irgendwie nervös.
    »Er wird entsetzt sein. Das
ist ja der halbe Spaß.«
    Crispin war in der Tür zu
einem Pub verschwunden, das - wie mir auffiel - auch The Rising Sun hieß,
obwohl es keine zwei Kilometer von unserem Stammlokal in Cloth Fair entfernt
war. Wir sahen ihn an der Bar stehen, über eine Ausgabe von Sporting Life gebeugt.
    »Guten Abend, Mr Lambert«,
sagte Roger in einem respektvollen Ton, den ich bei ihm noch nicht kannte.
    »Roger!« Sichtlich erschrocken
schaute er hoch. »Du liebe Zeit. Hatte keine Ahnung, dass das hier eine Ihrer
Tränken ist.«
    »Eine von vielen, Mr Lambert,
eine von vielen. Darf ich Ihnen meinen Freund vorstellen. Harold Sim.«
    »Na, da bin ich doch
entzückt«, sagte er und reichte mir die Hand zu einem lauwarmen Händedruck. Er
zögerte, wartete darauf, dass wir weitergingen. Aber wir blieben gnadenlos stehen.
»Also ...«, sagte er nach einem peinlichen Schweigen, »ich vermute, die Herren
hätten gerne einen Drink.«
    Nachdem wir ein paar Gläser
zusammen getrunken hatten, erwies Crispin Lambert sich als gar nicht einmal
unliebenswürdig; allerdings spielte ich keine sehr aktive Rolle bei dem folgenden
Gespräch. Bald fachsimpelten er und Roger über ihre Arbeit auf dem
Börsenparkett, und ich fühlte mich verloren im Dickicht eines finanztechnischen
Jargons, von dem ich so gut wie nichts verstand. Meine Gedanken schweiften ab,
ich dachte an andere Dinge. Die ersten Zeilen eines Sonetts kamen mir in den
Sinn, und ich schrieb sie in mein Notizbuch. Ich achtete gar nicht mehr auf
meine Gefährten, bis mich Roger nach ein paar Minuten direkt ansprach.
    »Also«, sagte er, »das hört
sich doch nach einem interessanten Angebot an. Was sagst du, Harold - sollen
wir unsere Mittel zusammenwerfen und es versuchen?«
    Ich hatte mitbekommen, dass
sie zuletzt über die Gewinnchancen irgendeines Pferdes gesprochen hatten, das
am Samstag um 15.30 Uhr in Newmarket ins Rennen gehen sollte, deshalb vermutete
ich, dass Roger mir eine Wette vorschlagen wollte. Aber es stellte sich heraus,
dass die Geschichte wesentlich komplizierter war.
    »Mr Lambert hat die Wette
schon platziert«, erklärte er und hielt einen knitterigen Zettel mit dem
Gekritzel eines Buchmachers in die Höhe. »Das ist der Wettschein, und jetzt
schlägt er uns vor, uns das Recht abzutreten, ihm den Schein in der Zukunft
abzukaufen. Faktisch ist es eine Option auf die Wette, die er uns verkaufen
will.«
    »Eine Option?«
    »Ja. Weißt du, es ist ein
äußerst faires Angebot. Er hat bei einem Pferd namens Red Runner fünf Pfund auf
Sieg gesetzt, bei einer Quote von 6:1. Weder du noch ich könnten uns einen solchen
Einsatz leisten. Deshalb macht er uns den Vorschlag, dass wir ihm ein Pfund für
das Recht bezahlen, ihm den Wettschein für zwanzig Pfund abzukaufen - nachdem das Rennen gelaufen ist.«
    »Zwanzig Pfund? Aber die haben
wir nicht.«
    »Na und, dann leihen wir sie
uns eben. Versteh doch, wir können gar nicht verlieren. Wir müssen ihm den
Schein ja nur abkaufen, wenn das Pferd gewonnen hat - und dann ist er dreißig
Pfund wert. Also, selbst wenn wir ihn für zwanzig Pfund kaufen, plus einem
Pfund fürdie

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