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Coe, Jonathan

Coe, Jonathan

Titel: Coe, Jonathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die ungeheurliche Einsamkeit des Maxwell Sim
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mit ihm kam ich mir wie ein
kleiner Junge vor, obwohl ich achtundvierzig war (meinen Geburtstag hatte ich
zwei Wochen zuvor in einem preisgünstigen griechischen Restaurant in Sydney
gefeiert, und ich musste mich wie üblich kräftig abstrampeln, um überhaupt ein
Gespräch mit meinem Vater in Gang zu halten). Ein solches Boot zu beherrschen -
und dann auch noch meine Freunde (und andere) davon zu überzeugen, dass ich in
der Lage sei, dieses Gefährt einhändig um den Erdball, durch die gefährlichsten
Meere der Welt zu segeln -, zeugte das von ... ja, von was? Selbsttäuschung?
Nein, Crowhurst war kein Verblendeter. Ganz im Gegenteil: An heutigen Standards
gemessen erscheint er unfassbar reif und selbstbewusst. Sechsunddreißig! Mit
Mitte dreißig habe ich mir - wie die meisten meiner Altersgenossen - noch das
Gehirn darüber zermartert, ob ich reif genug war, um Kinder zu haben oder
nicht. Das Problem hatte Crowhurst längst gelöst: Er war vierfacher Vater. Was
war mit meiner Generation los? Warum wurden wir so langsam erwachsen? Der
Kindheit schienen wir frühestens in unseren Zwanzigern zu entwachsen. Und mit
vierzig waren wir noch immer Halbwüchsige. Warum dauerte es so lange, bis wir
Verantwortung für uns selbst übernahmen - von Kindern ganz zu schweigen?
    Ich musste gähnen, und mir
wurden die Lider schwer. Der Akku von Poppys Computer war fast leer. Noch acht
Minuten Restzeit. Ich warf einen letzten Blick auf die eingescannten Bilder von
Donald Crowhurst. Etwas an ihnen - ich konnte es nicht dingfest machen - war
mir unheimlich und jagte mir ein unbehagliches Frösteln über den Rücken. Außer
dem Foto der aufgegebenen Jacht gab es noch drei andere Bilder: Crowhurst in
wasserdichter Kleidung, Segel setzend in Teignmouth - die Szene, die Poppys
Onkel vor Ort erlebt hatte; Crowhurst gegen Ende seiner Reise, ein
Selbstporträt mit Schnauzbart und einem neuen, sonnengehärteten Ausdruck auf
dem Gesicht; und ein verstörend jung aussehender Crowhurst auf dem Festland,
vor den Kameras der BBC beim Interviewtermin vor der Abreise.
    Das letzte Foto, eine
Nahaufnahme, beunruhigte mich am meisten. Er wandte das Gesicht halb von der
Kamera ab, richtete den Blick zu Boden, in besorgte Gedanken verloren. Nervös
kaute er am Knöchel seines Daumens. Hier sah er bereits wie ein gequälter Mann
aus, als wusste er zu dem Zeitpunkt schon, dass er der Welt ein falsches Bild
von sich präsentierte; dass die Wahrheit dahinter dunkler, gefährlicher war, zu
schmerzhaft, um sich ihr zu stellen. Zweifellos war es dieses Bild, das mich so
verstört hatte. Aber wieso?
    Plötzlich fiel es mir wie
Schuppen von den Augen. Natürlich - es war unverkennbar, jetzt, nachdem ich es
gesehen hatte.
    Er war meinem Vater wie aus
dem Gesicht geschnitten.
     
    Von WATFORD bis READING
     
    6
     
    Ich vermisste sie.
    Poppy war vor einer
Viertelstunde gegangen, und schon vermisste ich sie entsetzlich.
    Musste ich der Tatsache, dass
sie keinen Kaffee mehr mit mir trinken wollte, eine Bedeutung geben? Sicher
nicht. Sie hatte einen langen Flug hinter sich und war müde, sie wollte nach
Hause. Wir verabschiedeten uns am Gepäckband. Ein schlechter Platz für einen
Abschied. Laut, chaotisch, bedrückend. Aber sie hatte nur Handgepäck, während
ich am Karussell auf meinen Koffer warten musste, und so ergab es sich, dass
wir dort Abschied nahmen. Danach sammelte ich meinen Koffer ein, rollte ihn
nach draußen, sah die Schlange am Taxistand (mindestens fünfzig Leute) und
rollte ihn wieder hinein.
    Ich nahm den Fahrstuhl in die
Abflugs-Lounge und bestellte mir einen Cappuccino. Ich glaube, es war das
heißeste Getränk, dass mir je im Leben serviert worden war. Zwanzig Minuten
mussten vergehen, bevor ich mich auch nur traute, die Tasse an die Lippen zu
setzen. Unterdessen beobachtete ich das Kommen und Gehen der anderen
Fluggäste. Außer mir schien hier niemand allein zu reisen. Realistisch
betrachtet konnte das nicht sein, aber an diesem Morgen kam es mir so vor. Nach
etwa zehn Minuten setzte sich ein Mann an den Nebentisch. Er war ungefähr in
meinem Alter, auch wenn er graue, fast weiße Haare hatte, und er war allein, und ich spielte schon mit dem
Gedanken, ihn anzusprechen, nur weil es so befreiend gewesen wäre, wieder mit
jemandem zu reden, als seine Frau und seine zwei Töchter auftauchten. Die
Töchter waren ausgesprochen hübsch.
    Die jüngere dürfte etwa acht
gewesen sein, die ältere zwölf oder dreizehn - ungefähr in Lucys Alter.

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